Manie #diverserdonnerstag

Mit Manie diesmal mit einem eigenen Thema von mir. Für mich gehört die Manie durch meine bipolare Störung zu meinen Depressionen dazu, ebenso wie „psychotische Exazerbationen“. Ich habe also auch Psychoseerfahrung. Doch das wird später ein eigener Beitrag.

Die Wikipedia sagt dazu:
Eine Manie ist eine affektive Störung, die meist in Episoden verläuft. Antrieb, Stimmung und Aktivität befinden sich in einer Manie weit über dem Normalniveau. Wikipedia

Das hört sich ja toll an, als könnte man sehr viel mehr leisten als andere, die nicht manisch sind? Weit gefehlt.

Persönliche Erfahrungen


Das Problem bestand für mich darin, dass ich mich nicht nur übernahm und überschätzte und die Erschöpfung immer größer wurde; mein Denken wurde auch mit der Zeit inkohärent – ich sprang so sehr von Hölzchen auf Stöckchen, dass mir niemand mehr folgen konnte.

In dieser Phase hatte ich schon Logorrhoe, ein mit „Sprechdurchfall“ treffend bezeichnetes Symptom, das beschreibt, dass die Menschen nicht mehr schweigen können, selbst wenn sie wollen. Das habe ich selbst mehrmals erlebt. Ich erinnere mich da an eine Situation, als ich mit einem Freund an der Elbe saß und er Ruhe wünschte, einfach gemeinsam mit mir schweigen wollte, was für mich beim besten Willen unmöglich war.

In der Manie verlor ich die Kontrolle


Eine Steigerung dessen war, dass ich meine Handlungsabläufe nicht mehr kontrollieren konnte und selbst so etwas Einfaches wie Zähneputzen nicht mehr ohne Hilfe erledigen, konnte weil mir ständig etwas anderes, gefühlt furchtbar Wichtiges dazwischenkam.

Manche sollen sich in manischen Episoden verschulden, mir kam wohl mein Geiz zugute. Dennoch erinnere ich mich daran, dass ich tausend Euro abhob – man sagte mir hinterher, ich habe eine Weltreise machen wollen – jedenfalls hatte ich dieses dicke Bündel Geld dabei und drückte es aus einem Impuls heraus einem Bettler in die Hand, weil ich überhaupt nicht mehr wusste, wofür ich es brauchen könnte, mich davon belastet fühlte und zugleich Mitleid mit dem armen Mann hatte.

So wie sich die Depression durch zu viel Schlaf verstärkt, verstärkt sich die Manie selbst, weil man gar kein Schlafbedürfnis mehr hat und selbst wenn man so vernünftig ist, sich hinlegen zu wollen, so findet man die Ruhe dazu nicht mehr. Bei zu starkem Schlafentzug gerät man in die Psychose.

Umgang damit in meinen Geschichten

Ich stelle Mark aus Der Genesungsbegleiter als jemanden dar, der genesen ist. Er hat manische Episoden erlebt und macht jetzt das Beste daraus. Als Genesungsbegleiter teilt er seine Erfahrungen mit anderen, die gerade akut erkrankt sind. Auch mit Fachkräften in helfenden Berufen tauscht er sich aus, hier beispielhaft mit der Krankenschwester Nuria. Wobei, heute heißt das: „Gesundheits- und Krankenpflegerin“. Dabei liegt der Fokus nicht auf seinem Verhalten während der manischen Phase, sondern darauf, wie man mit der Krankheit leben lernt.

In Tobaksplitter beschreibe ich in „Irre gesund“ Anekdoten aus meiner Sicht als Patient, der überhaupt nicht versteht, wie ihm geschieht. In einer kurzen Geschichte kann ich nicht mehr als Fragmente liefern. in einem Roman habe ich sehr viel mehr Raum und auch die Verpflichtung, in die Figurenentwicklung tiefer einzutauchen.

Nehmt nicht einfach eine bipolare Störung als Hintergrund, nur weil eine Figur plötzlich etwas Ver-rücktes tun soll. Dafür gibt es so viel mehr Gründe und nicht immer liegt eine psychische Krankheit oder eine „verkorkste Kindheit“ zugrunde. Erlebt die Figur eindeutig manische Episoden, dann gehören in der Regel auch depressive dazu, aber es gibt Ausnahmen. Meistens gibt es auch „normale“ Phasen außerhalb der akuten Episoden.

Das bedeutet: Wer Menschen mit einer bipolaren Störung kennenlernt, kann je nach Tagesform einen unterschiedlichen Eindruck gewinnen: Der hat ja immer gute Laune, ist spontan, kreativ usw. (manisch) oder der hat ja nie zu etwas Lust, hat ständig schlechte Laune, meldet sich nie etc. (depressiv) oder der ist … (ausgeglichen). Sehen wir mal vom auch möglichen Rapid Cycling (schnell wechselnde Phasen) ab, hat nur wer jemanden mit bipolarer Störung über längere Zeit kennt, das vollständige Bild aller „drei Gesichter“.

Identifikation mit der Diagnose

Tauscht man sich erstmals mit anderen in einer Selbsthilfegruppe aus, kann das auch zu übermäßiger Identifikation mit der Diagnose führen: Maniker sind so und so, haben alle diese und jene Symptome. Ach, das hab ich auch, ist ja interessant. Wie, zu meiner Erkrankung gehört auch dieses? Darauf habe ich ja noch gar nicht geachtet … doch, neulich ist mir das auch bei mir aufgefallen.

Du musst nicht alle Symptome aufweisen, um dazuzugehören. Die Diagnose gibt es, damit Behandler:innen mit der Krankenkasse abrechnen können. Manche Leistungen gibt es auch nur bei der richtigen Diagnose! Ich selbst wurde zuerst falsch diagnostiziert und bekam daher vier Jahre lang die falsche Behandlung, erhielt nicht die passende Psychoedukation und ging auch mit mir selbst nicht optimal um.

Das kann helfen

Häufig helfen mir binaurale Klänge, um fehlenden Schlaf auszugleichen, wenn ich sie früh genug einsetze. Früh genug bedeutet hier: Bereits während der ersten halben Nacht, die ich nicht schlafen konnte. Dies jedoch ergänzend zu meiner Phasenprophylaxe. Ohne eine Dauermedikation komme ich nicht aus, das habe ich einige Jahre versucht und mit mehreren Klinikaufenthalten bezahlt. Das Thema mangelnder Krankheitseinsicht war also auch bei mir ein Faktor, der meine Genesung behindert hat.

Solange ich medikamentös nicht richtig eingestellt war, glich mein Leben nach der Diagnose einem Drahtseilakt: Ständig zwischen Höhenflug und Absturz balancierend. Jetzt, da ich auch die Rüsselmaschine (mein Schlafapnoe-Therapiegerät) habe, fühle ich mich im Grunde belastbarer als vor der Diagnose, traue dem Braten aber noch nicht ganz.

Wie wichtig das Thema Schlaf für mich in den letzten Jahren war, habe ich hier geschildert.

Zuletzt: Depression

Euer Ingo S. Anders

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