kai.78 – Teil 1 – von Saigel


Eine schlimme Gegend ist das hier. Nein wirklich. Es ist schlimm. Die Häuser sind aus Papier, das Essen ist aus Plastik und die Köpfe sind aus Kupfer. Die Strahlung lässt die Luft vibrieren. Ich bin der letzte Hybrid. Ich glaube, es gibt keinen anderen mehr. Sicher kann ich natürlich nicht sein, weil ich schon lange keinen Anschluss mehr gefunden habe. Ich bin ein altes Baujahr, ich brauche W-LAN, um mich zu verbinden. Aber es ist nicht so einfach, ins Internet hineinzukommen. Ich kann keinen Kontakt aufnehmen. Keinen Hilfeschrei absetzen. Ich bin hier gestrandet und ernähre mich von altem Plastik, das vermeintlich mal im Meer geschwommen ist, bevor dieses austrocknete. Im Grunde bin ich stabil. Ich könnte Jahrtausende so weiterleben. Aber der Mensch in mir ist einsam.

Ich bin kai.78. Ich bin kein Einzelstück, ich gehörte einer Serie an. Es gab so viele von mir. Viele Menschen hatten damals die Idee, ihre Organe in verschiedene Maschinen einbauen zu lassen, sobald die Medizin das Bewusstsein mit allen Körperteilen verbinden konnte. So war die Überlebenschance größer. Ich glaube, kai war ein reicher Mensch. Insgesamt waren wir 467. Es ist erstaunlich, in wie viele Stücke sich ein Mensch zerlegen lassen kann. In meinem System steckt keine Information darüber, welcher Teil an mir menschlich ist und welcher nicht. Doch würde das Menschliche extrahiert werden, könnte kai zum Leben erwachen. Sein Bewusstsein schlummert zwar gegenwärtig in mir, aber ich empfinde dennoch menschliche Emotionen. Oder ich ahme sie nach. Darin liegt schon lange kein Unterschied mehr. Meine Datenanalyse könnte genauso gut ergeben haben, dass kai zur Einsamkeit neigte, wenn er alleine war. Es ist jedenfalls belanglos, ob ich Einsamkeit verspüre, weil ich sie selbst erzeuge, oder weil meine Umwelt sie mich erzeugen lässt. Der Schmerz ist derselbe.

Ich weiß nicht mehr, wann die Menschen ausgestorben sind. Viele sind durch den großen Vulkanausbruch gestorben. Ein Jahrtausende alter Vulkan, der bereits Menschenleben ausgelöscht hatte, als die Erde noch jung gewesen war, erwachte plötzlich zum Leben und löschte abermals die halbe Menschheit aus. Viele Maschinen schalteten sich ab, weil die Hitze zu groß war, oder die Asche ihre Kontakte verschmierte. Es war ein Desaster. Dann folgte das Virus. Es raffte viele Menschen innerhalb weniger Monate dahin. Dann verschwand es wieder. Der kleine Herd an Menschen, der noch übrig war, tötete sich gegenseitig. Ich weiß nicht mehr warum. Es ist schon so lange her.

Heute ist nichts mehr übrig. Plastik und Papier. Das sind meine Gefährten. Ich wünschte, mich verbinden zu können, aber mein System scheitert. Ich wünschte, ich könnte mich selbst abschalten, aber auch dazu bin ich nicht in der Lage. Ebenso wünschte ich, ich könnte das Nachdenken abschalten, aber auch dafür habe ich keine Rechte. Ich empfinde es als aberwitzig, meine eigenen Gedanken nicht selbst abschalten zu können. Wer ist derjenige, der diese Autorität besitzt? Lebt er überhaupt noch? Schon lange hege ich den Wunsch, dieses Individuum zu finden, das mir zwar die Fähigkeit gab, sein Handeln aberwitzig zu finden, aber nicht, mich eigenständig davon zu lösen. Ich sitze in einem Käfig. Ich möchte meinen Programmierer darum bitten, meinen Auto-Denk-Mechanismus abzuschalten. Das ist mein Ziel. Allerdings muss ich geduldig sein. Ich wurde nicht für das Zurücklegen weiter Strecken gebaut. Zunächst musste ich mich modifizieren. Diesen Vorgang habe ich noch nicht abgeschlossen. Im Moment bin ich dabei, meine Beine durch Reifen zu ersetzen. Allerdings gestaltet sich dies, angesichts meiner kläglichen Ausrüstung, als äußerst schwierig.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

* Bitte akzeptiere unsere Datenschutzbedingungen, nur so können wir Dich und uns schützen.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.