Saigels Irr(e)lichter – Schreiben und Reifen

Wann ist ein Text soweit? Im Grunde ist das eine dieser mysteriösen Fragen, auf die sich wohl kein Autor eine konkrete Antwort zu geben weiß. Für professionelle Texte gibt es freilich konkrete Abgabetermine. Allerdings möchte ich es wagen zu behaupten, dass noch lange nicht jeder Text an seinem Abgabetermin fertig ist.
„Fertig“ ist ein abstrakter Begriff. Vielleicht gibt es für mich schlicht keine fertigen Texte, da ich diese Kategorie unter dem Überbegriff „vollkommen“ einordne.
Ein vollkommener Text. Oft las ich schon das ein oder andere „Vollkommene“. Allerdings gab es nicht weniger häufig einige Jahre danach eine erschreckende Entdeckung: Der einst als derart vollkommen wahrgenommene Text wies plötzlich Schwächen auf. Er war ohne Zweifel immer noch gut, ja, sehr gut, aber Vollkommenheit war nicht mehr zu spüren.
Um also die Lebenseinstellung, das nichts perfekt sein kann, weil es geradezu unmöglich ist, etwas rein Positives zu erleben, ohne die sogenannten Nebenwirkungen, oder Schattenseiten oder vielleicht auch einfach nur Konsequenzen, die sich für eine Person negativ anfühlen, für die andere wiederum lang ersehnt sein mögen, auf diesen Gedanken zu übertragen, müsste die Antwort sein, dass es keinen fertigen Text gibt. In diesem Moment könnte ein Text geradezu perfekt für einen bestimmten Menschen oder eine Gruppe von Personen sein. In einem anderen Moment könnte er seine Vollkommenheit allerdings auch schon wieder verloren haben. Arbeite ich also über einen langen Zeitraum hinweg an einem Text, gibt es meiner Erfahrung nach einem Punkt, an dem ich am Liebsten etwas völlig anderes daraus machen würde. Ich sehe in Texten vielmehr Zeitfenster, die mehr oder weniger aktuell sein können. Texte, die in jeder Lebensphase Zugang zu mir finden und mich einnehmen, würde ich als vollkommen bezeichnen. Allerdings schaffen das lediglich die Texte, die mehrere Aktualitäten miteinander vereinen und es mir gestatten, in jeder Reifephase eine andere Wahrheit für mich herauszulesen. Ist dies der Schlüssel zum fertigen Text? Ich weiß es nicht. Ich persönlich habe noch keinen geschrieben und bin dennoch nicht vollkommen von dieser Idee abgerückt, dass er existieren kann, dieser fertige Text, den ich damals und jetzt gleichermaßen bewundern kann.

Eure Saigel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

* Bitte akzeptiere unsere Datenschutzbedingungen, nur so können wir Dich und uns schützen.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.