Gruselgeschichten – Dunkel

Hallo liebe*r Lesende*r,

wir haben uns gedacht, dass wir im Zuge der anstehenden Halloween-Festlichkeiten gerne ein paar gruselige Geschichten mit euch teilen wollen.

Die heutige Geschichte trägt den Namen „Dunkel“ und wurde uns freundlicherweise von Gaia Athanasia bereitgestellt. Die Grafik stammt von Adobe Stock.

Viel Spaß beim Gruseln!

Dunkel

von Gaia Athanasia

Dunkel traf es nicht annähernd. Vor ihr lag die finsterste Finsternis, die sie jemals erlebt hatte, vollkommen und undurchdringlich … Es war nicht nur bloße Schwärze, nein, es war die buchstäbliche Abwesenheit von Licht.

Der Türknauf in ihrer Linken schien ein widerliches Sekret abzusondern, warm und irgendwie klebrig … oder fühlte sie nur ihren eigenen Schweiß? Der Knauf pochte in ihrer Hand, schien zu zucken. Gleich würden zahllose Tentakel aus ihm hervorschießen, sich um ihren Arm schlingen, ihren Hals, in ihren Mund eindringen, wenn sie schrie … Keuchend riss sie die Hand zurück. Sie pochte noch immer.

Genervt fletschte sie die Zähne. Jetzt ließ sie sich schon von ihrem eigenen Puls ins Bockshorn jagen!

Mit dem Daumen suchte sie nach dem Schalter der Taschenlampe, die schwer in ihrer Rechten lag – ein aluminiumgewordenes Stückchen Hoffnung. Die Gummierung am Griff verhinderte, dass sich die Lampe ähnlich glitschig anfühlte wie der Knauf – unvorstellbar, wenn sie ihr entgleiten würde!

Es klickte. Der helle Schein allerdings blieb aus. Kein Schwert reinen, silbernen Lichts durchdrang die Schwärze, nur trübes Glimmen sickerte aus der Lampe. Es kratzte lediglich an der Finsternis, enthüllte ein paar Konturen, die in keinem Zusammenhang standen und bizarre Gebilde formten.

Ihr Blut raste in einer Stampede durch ihren Körper, jagte Adrenalin in jede Faser. Zitternde Schatten krochen aus der erstickenden Tiefe, kamen auf sie zu … Scharf sog sie die Luft ein, die kühl und irgendwie muffig zu ihr emporschlug, und rief sich zur Ordnung. Hier gab es nichts, das auf sie zukam! Ihre Einbildung spielte ihr nur einen Streich. Nichts weiter.

Sie wischte die Linke an ihrer Hose ab und sammelte allen Mut, um sich diesem Schlund zu stellen. Stumm und geduldig wartete er. Lauerte.

Ihr Herz setzte für einen Schlag aus, als hinter ihr ein Geräusch erklang. Leise, kaum hörbar … jemand, etwas schlich durch die Dunkelheit dieses Hauses, das mit jedem Atemzug größer wurde und sich in der Unendlichkeit der Nacht verlor.

Langsam wandte sie sich um. Der matte Strahl der Taschenlampe erreichte nicht einmal mehr die gegenüberliegende Wand, sondern erweckte lediglich eine spinnenbeinige Monstrosität zum Leben, die schwankend nur nach der richtigen Position suchte, um sie anzuspringen und bei lebendigem Leibe zu verschlingen. Etwas streifte ihre nackte Wade, und nun konnte sie einen Schrei nicht mehr unterdrücken. Die Realität zerfiel hinter ihr, riss alles Vertraute in schwarzes Nichts; Wände, Bilder, selbst der Fußboden wurden von dem lautlosen Schrecken verschlungen, der in der Finsternis wohnte und das Sein nicht nur beendete, sondern ad absurdum führte.

Abwärts. Eine andere Richtung blieb nicht. Hinein in den Kern der Schwärze, der das Taschenlampenlicht aufsog wie ein schwarzes Loch.

Sie tastete nach dem Geländer und keuchte, als sich klebrige Spinnweben sacht um ihre Hand legten. Trotzdem umfasste sie tapfer das raue Holz, nachdem sie den Gedanken an Riesenspinnen von sich geschoben hatte, und stieg die erste Stufe hinab. Sie richtete das müde Licht auf einen Punkt kurz vor ihren Füßen, wobei sie inständig hoffte, dass das Nichts nur hinter ihr wütete. Konzentriert zählte sie die Stufen, versuchte, nicht an das Nichts und seine geifernden und mit entsetzlichen Zähnen ausgestatteten Vorboten zu denken, die sich in den Schatten wanden.

Neun Stufen. Zehn. Elf. Seit wann waren es so viele? Wo war der Fußboden? Diese Treppe führte geradewegs in die Unterwelt, hinab in die Hölle, zum Herrscher der Kreaturen, die innerhalb von Sekunden die Welt überflutet hatten.

Zwölf Stufen. Ihre tastenden Zehenspitzen fanden keine Kante mehr, sondern stießen auf ebenen Boden. Vorsichtshalber suchte sie noch ein Stückchen weiter, doch auch dort konnte sie Widerstand unter ihrer Fußsohle fühlen. Die Kante, über die sie unweigerlich ins Vergehen stürzen würde, lag noch tiefer in der Finsternis.

Sie richtete die Lampe nach rechts und atmete erleichtert auf, als das Licht auf eine weiße Wand fiel. Auf dem Absatz auf Brusthöhe lagen allerlei Gegenstände, die sie unmöglich identifizieren konnte. Wenn sie genauer darüber nachdachte, wollte sie sie auch gar nicht identifizieren. Was, wenn es sich wirklich um die Skelette anderer Unglücklicher handelte, die vor ihr hierhergekommen waren?

Da! Einer der Schatten auf dem Sims unterschied sich von den anderen. Obgleich auch er zitterte, blieb seine Form konkret und rechteckig. Das musste der Kasten sein.

Mutig ließ sie das Geländer los und richtete die Taschenlampe auf den Umriss. Sogar den Griff erspähte sie. Sie streckte die Hand danach aus, als direkt daneben zwei große, grüngelbe Punkte aufblitzten.

Wieder schrie sie auf, taumelte rückwärts, halb erwartend, gleich in den Abgrund zu stürzen, den das Nichts hinter ihr erschaffen hatte. Stattdessen stieß sie mit der Hüfte schmerzhaft gegen das Geländer. Etwas griff nach ihrem Haar und polterte zu Boden. Vor ihr fauchte das Monster, das sie so kurz vor ihrem Ziel geweckt hatte.

Fest umklammerte sie die Taschenlampe, ihre einzige Hoffnung an diesem verfluchten Ort. Nein! Sie würde jetzt nicht aufgeben! Nicht, nachdem sie schon so weit gekommen war!

Erneut richtete sie das Licht auf das eckige Gebilde und ignorierte die leuchtenden Punkte daneben. Ihre Hand stieß vor, packte den Griff, riss das Türchen auf. Ganz unten in dem Kasten befand sich, was sie suchte. Sie legte den Finger unter den Schalter und drückte ihn nach oben.

Mit einem Klicken rastete der FI-Schalter ein. Kaltes Neonlicht flammte auf. Obgleich sie es nicht sehen konnte, wusste sie, dass die beruhigende Helligkeit nun auch in den Rest des Hauses zurückgekehrt war und das Nichts mit all seinen Dämonen vertrieben hatte.

Sie sah sich um. Der Keller sah aus wie immer: recht aufgeräumt und ein bisschen staubig. Nur der Handfeger, der eigentlich an einem Nagel hängen sollte, lag neben ihr auf dem Boden.

„Miau“, sagte das Monster auf dem Sims und stieß mit dem Kopf gegen ihre Hand.

Mit einem befreiten Lachen kraulte sie die Katze hinter den Ohren, nahm sie behutsam auf den Arm und stieg die Kellertreppe wieder hinauf.

Ab heute würde sie sich für alle Zeiten an das Verbot ihrer Eltern halten: Nie wieder Horrorfilme, wenn sie nachts allein zu Hause war!

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