Korrekturen 13

13.Teil – Überraschende Wendungen

Schon seit etlichen Tagen saßen Thomas und Khendrah in der Jahresstation des Jahres 3170 und forschten im Zeitstrom nach Machenschaften des Analysten Ralph Geek-Thoben. Anfangs hatten sie angenommen, sie hätten Fehler gemacht, denn, noch während sie dabei waren, ein exaktes Profil zu erstellen, änderten sich plötzlich die Vorgaben.
»Was ist denn hier passiert?«, fragte Khendrah, die ihren Augen nicht zu trauen glaubte, »Du wurdest nicht getötet, Thomas und alles schien wieder in bester Ordnung zu sein und plötzlich ist wieder alles in Unordnung. Bist du auch gerade an dieser Machtübernahme?«
»Ja«, sagte Thomas vom Nachbarterminal aus, »ich bin froh, dass ich vorhin noch den Status gespeichert hatte, sonst hätte ich jetzt keinen Beweis für die Veränderung. Wie kann das überhaupt sein? Wieso können wir diese Veränderungen überhaupt bewusst wahrnehmen? Ich dachte immer, dass eine Veränderung im Zeitstrom sich in die Zukunft hinein fortsetzt und von den zukünftigen Realitäten nicht wahrgenommen werden kann, da sie ja selbst der Veränderung unterworfen sind.«
Khendrah sah zu ihm hinüber. Thomas hatte sich in wenigen Tagen hervorragend eingearbeitet und bediente das Terminal inzwischen eben so gut, wie sie selbst. Sie musste zugeben, dass sie mit ihrer Recherche nicht so schnell vorangekommen wäre, wenn er ihr nicht so gut geholfen hätte. Sie lächelte. Sie waren sich innerhalb von wenigen Tagen so nahe gekommen, wie sie es nie für möglich gehalten hatte. Sie hatte Angst vor dem Tag, an dem das alles vorbei sein würde – wenn er wieder in seine Zeit zurückkehren musste und sie wieder eine Agentin der Behörde für Zeitkorrekturen sein würde. Sie schob diesen Gedanken weg. Sie wollte nicht daran denken.
»Wir sind innerhalb des Zeitvektors«, erklärte sie, »wir stehen quasi außerhalb des externen Zeitablaufs und unterliegen, solange wir uns hier aufhalten, einem eigenen Zeitablauf, der völlig vom äußeren Zeitablauf abgekoppelt ist. Frage mich bitte nicht, warum es so ist. Ich bin Agentin und keine Technikerin.«
»Weißt du, dass ich mir vorkomme, wie in einem schlechten Science-Fiction?«, fragte Thomas.
»Was ist ein Science-Fiction?«, wollte Khendrah wissen.
»Das sind Geschichten, die über Dinge berichten, die es noch nicht gibt, die aber vorstellbar sind, verstehst du?«
»Nein«, meinte Khendrah, »ich weiß nicht, was du meinst.«
Sie machte eine alles umfassende Geste mit der Hand.
»Das alles hier ist real, Thomas. Das ist keine Geschichte.«
»Genau das fällt mir schwer, zu glauben«, sagte Thomas und winkte ab, »erkläre mir aber bitte einmal, warum wir das Ganze hier überhaupt machen. Wenn wir außerhalb der externen Zeit stehen und uns hier nichts geschehen kann – was auch immer draußen geschieht – warum können wir uns dann nicht aus dem Staub machen und uns irgendwo verstecken?«
»Du stellst es dir zu einfach vor«, sagte Khendrah, »wir können nicht bis in alle Zeit hier in dieser Station bleiben. Irgendwann wird jemand dahinter kommen, dass diese Station nicht mehr unbewohnt ist und dann müssen wir fliehen. Sind wir aber draußen, dann unterliegen wir wieder den Maßnahmen der Obersten Behörde. Wir würden auch draußen irgendwann entdeckt werden, zumal du keine andere Wahl hast, als wieder in deine eigene Zeit zurückzukehren. Was mich betrifft … ich weiß nicht.«
Thomas nahm Khendrah in den Arm und hielt sie fest. Solche körperliche Nähe war ihr noch fremd, doch musste sie eingestehen, dass es ihr angenehm war und sie tröstete. Dieser Mann, den sie eigentlich töten sollte, hatte ihr ganzes Weltbild bereits zum Wanken gebracht. Nach einiger Zeit machte sie sich wieder von ihm los und meinte:
»Auf jeden Fall bin ich es mir und der Geschichte schuldig, dass ich es nicht zulasse, dass dieser Geek-Thoben seine eigennützigen Pläne durchsetzen kann. Wenn wir nur das schaffen, bin ich zufrieden – egal, was dann noch kommen wird.«
»Was können wir schon von hier aus tun?«, fragte Thomas, »Soweit ich das verstanden habe, haben wir zwar alle Möglichkeiten, die Wahrheit herauszufinden, doch das war es dann auch schon.«
»Ich einem gebe ich dir Recht, Thomas«, erwiderte Khendrah, »von hier aus werden wir das Problem nicht lösen, aber wir haben sehr wohl die Mittel, einzugreifen. Wir müssen notfalls ebenfalls in die Zeit reisen und Ralphs Korrektur wieder rückgängig machen.«
Thomas schluckte nervös.
»Ich kann doch nicht einfach irgendwo in der Zeit aussteigen und dort irgendwelchen Unfug machen.«
Khendrah lachte leise, während sie die aktuelle Geschichte des Jahres 2110 studierte.
»Wir werden dort auch keinen Unfug machen, sondern eine Korrektur vornehmen«, sagte sie, »Ralph soll sich noch wundern. Ich bin eine Agentin – und ich bin keine Schlechte. Ralph ist Analyst, aber er ist Theoretiker. Wir Agenten müssen vor Ort improvisieren. Ich bin sicher, dass wir ihn schlagen werden.«
Plötzlich hellte sich ihre Miene auf.
»Hier ist es!«, rief sie aus, »Dieser Dreckskerl Herwarth Thoben hat ein Team von Killern auf Gunter Manning-Rhoda angesetzt und ihn regelrecht hinrichten lassen. Das kann nur bedeuten, dass ihm Ralph gesagt hat, dass er die Wahlen verlieren würde.«
Khendrah machte ein entschlossenes Gesicht.
»Diese Suppe werden wir ihnen versalzen!«
»Khendrah, werde wach«, mahnte Thomas, »wir sind nur zu zweit. Wie sollen wir gegen Killer aus dem Jahre 2110 ankommen können?«
Khendrah sah Thomas nachdenklich an.
»Wie steht es eigentlich mit deiner Ausbildung in Disziplinen wie Nahkampf oder Waffen?«
»Bist du verrückt, Khendrah?«, ereiferte sich Thomas, »Davon habe ich doch überhaupt keine Ahnung! Ich werde dir da keine Hilfe sein.«
Khendrah erhob sich ruckartig und griff nach Thomas‘ Hand.
»Komm‘, wir haben eine Menge zu tun«, sagte sie und zog ihn mit sich fort.
»Was hast du denn nun schon wieder?«, fragte Thomas, »Nun rede schon und lass‘ mich nicht dumm sterben.«
Sie wandte sich abrupt um und blieb mit funkelnden Augen vor ihm stehen.
»Ich werde dich ‚überhaupt‘ nicht sterben lassen, ist das klar?«
»Nun beruhige dich, Khendrah«, sagte Thomas, »das ist nur so eine Redensart in meiner Zeit, wenn einem die notwendigen Informationen fehlen. Aber du darfst mir gern verraten, was du vorhast – zumindest, wenn es mich betrifft.«
»Entschuldige«, sagte sie, »das war mein Fehler. Aber ich werde dich unbedingt brauchen, bei dem, was ich vorhabe und da musst du fit sein, um diese Killer mit mir zusammen aufzuhalten. Wir haben in jeder Station eine Hypnoseschulungsanlage. Ich will dir die notwendigen Kenntnisse im Schnellverfahren beibringen lassen.«
»Nahkampf in Hypnoseschulung?«, fragte Thomas spöttisch, »Du willst mir jetzt nicht weismachen wollen, dass ich danach ein Nahkampfspezialist bin, oder?«
»Quatsch!«, sagte Khendrah, »Es geht dabei nur um die theoretischen Grundlagen. Das Wissen hast du dann. Wir müssen dann nur noch an der Praxis arbeiten und deinen Körper in Form bringen.«
»Praxis?«, fragte Thomas, »Gegen wen soll ich denn hier kämpfen?«
Khendrah grinste ihn an.
»Ich werde gegen dich kämpfen, mein Lieber«, sagte sie, »wir haben doch alle Zeit der Welt, solange wir hier in der Station bleiben. Ich werde dich fit machen und dann gehen wir ins Jahr 2110 und schützen deinen Nachkommen.«
Thomas zuckte nur noch mit den Schultern, als Khendrah ihn in den Hypnoseraum führte und ihn bat, auf einer der dort bereitstehenden Liegen Platz zu nehmen. Er fühlte sich irgendwie überrumpelt. Er war nie ein Kämpfer gewesen und nun wollte Khendrah ihn in kurzer Zeit dazu machen. Erst wollte er protestieren, doch als er in die erwartungsvollen Augen Khendrahs blickte, gab er seinen Widerstand auf und legte sich flach auf die Liege. Khendrah schob ihm die schwere Hypnosehaube über den Kopf und startete das Programm.
»Du wirst jetzt ein paar Stunden schlafen«, erklärte sie ihm, »ich werde da sein, wenn du wieder wach wirst. Ich wünsche dir schöne Träume.«

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