An Sophie

Ein Liebesbrief von Falky67

Meine liebe Sophie!

Ich kann heute Nacht nicht schlafen. Du bist mit dem Auto nach Bonn unterwegs. Das erste Mal allein auf so weiter Strecke. Wie könnte ich da schlafen, bevor ich nicht weiß, dass Du angekommen bist? Tja, und schlaflose Nächte haben es so an sich, dass man beginnt, über Dinge nachzudenken, die man sonst gern von sich schiebt.
Hab ich Dir gestern zum Abschied eigentlich gesagt, dass ich Dich lieb hab?
So viel Zeit, die mir wie im Flug vergangen scheint. Und so viele Fehler, die ich gemacht hab und die ich nicht mehr ändern kann.
Ich weiß noch genau den Tag Deiner Geburt, wie könnt ich das vergessen? Schmerzen, die ich vorher nicht kannte, Du hast einfach noch nicht auf diese Welt gewollt. Hast Dich daran geklammert, weiter beschützt zu werden, dabei hab ich Dir schon da geschworen, Dich immer zu lieben, egal was kommt.
Und dann hielt ich Dich in den Händen, ein kleines Geschöpf, herausgepresst in ein unbekanntes Leben. Wie hätte ich nicht bei Deinem Anblick gleich in Liebe zu Dir entbrennen können? So zart, so schutzbedürftig und gleichzeitig bereits so kraftvoll. Ein Wunder des Lebens.
Du hast mir in den Jahren so manchen Kummer bereitet. Und doch haben Deine Augen, der Schmollmund und Dein Lachen alles ins Gegenteil verkehrt. Ich habe viele Fehler gemacht, die ich gern zurücknehmen würde, falls es ginge.
Am meisten schmerzt mich, dass ich nicht da war für Dich, als Oma ging. Ich war zu sehr in meiner eigenen Trauer gefangen, um die Deine zu spüren. Das ist ein Punkt, den ich mir bis heute nicht verzeihe. Ich hab Dich in ein tiefes Loch fallen lassen, aus dem Du nur schwer wieder heraus fandest.
Wie schnell Du danach erwachsen geworden bist.
Für mich viel zu schnell.
Die Pubertätsstreitereien hab ich gelassen hingenommen. Die kannte ich nur zu gut noch aus meiner eigenen Kindheit.
Und dann Dein Abi-Abschluss, was war ich stolz auf Dich. Wie Du da oben standest zwischen all den anderen jungen Menschen. Für mich, liebe Sophie, warst Du die schönste von allen.
Und ich war Dir peinlich, weil ich die einzige war, die laut aufschluchzte, als Du da oben standest und die Blumen entgegennahmst. Aber ich konnte nicht anders.
Das kleine Mädchen, das Du einmal warst, dem ich das Fahrradfahren beibrachte, das vor mir saß, ein Bilderbuch auf dem Schoß und mir daraus Geschichten erzählte, während ich die Haare kämmte, dieses kleine Mädchen stand nun auf der Bühne und war zu einer Frau geworden.
Wie hätte ich da nicht weinen sollen vor Glück, vor Stolz und auch vor Trauer? So viel Gefühl, das aus mir heraus musste.
Und nun sitz ich hier, schreibe die Zeilen, die mich davon ablenken sollen, dass Du allein mit dem Auto diesen weiten Weg nach Bonn fährst. Mitten in der Nacht. Mein Handy liegt neben mir, bereit, die rettende Nachricht zu erhalten: Mama, ich bin gut angekommen.
Ich höre Dich förmlich: Och Mama, mach dir keine Sorgen, ich bin schon groß, ich schaff das.
Ja mein Schatz, das weiß ich. Irgendetwas muss ich doch gut gemacht haben, denn Du schaffst das wirklich. Und doch werde ich nie aufhören, mir Sorgen um Dich zu machen, mit Dir zu leiden und Dir ungefragt Ratschläge zu geben.
Weil ich Dich uneingeschränkt liebe bis ans Ende meiner Tage.

Es ist bereits zwei Uhr in der Früh, endlich kommt deine Nachricht über WhatsApp:
Bin gut angekommen, geh jetzt schlafen. Du kannst ins Bett, Mama Lachsmiley, Kussmund
Wie gut du mich doch kennst.
Erst jetzt merke ich, liebe Sophie, wie müde ich bin. Ich werde den Brief zu den anderen legen, die ich Dir über die Jahre geschrieben habe. Wenn ich nicht mehr bin, sollen sie Dir Trost sein, Dir zeigen, dass Du alles für mich bist. Dass ich Dich immer lieb hab.

Deine Mom

One Reply to “An Sophie”

  1. Ein sehr rührender Brief, der überhaupt nicht kitschig die ganz großen Gefühle beschreibt, die so unfassbar sind, dass ich sie erst selten zu Papier gebracht gesehen habe. Auch diesen Widerstreit mit dem eigenen Gewissen, nicht alles „richtig“ gemacht zu haben, hast du sehr schön mit eingeflochten.
    Ein sehr schöner Brief voller Liebe mit einem unglaublich tollen Schlussgedanken.

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