Ein Beitrag von Falky67
Draußen schneite es nicht mehr. Langsam kam die Sonne hervor und gaukelte eine Wärme vor, die es nicht gab.
Denn da draußen herrschte seit Monaten klirrende Kälte.
Mittlerweile gab es kaum noch Brennmaterial und auch das Wasser war nur in gefrorenem Zustand vorhanden.
Rachel stand an dem Fenster und hauchte ein Loch in die von Eisblumen überzogene Scheibe. Durch dieses sah sie auf die Straße vor der Bibliothek, in der sie alle Zuflucht gefunden hatten.
Neben der Laterne hockte ein Bettler, in seinen Armen hielt er seinen Hund, über den er seinen Mantel gebreitet hatte. Beide waren mit einer weißen Raureifschicht überzogen.
Rachel konnte sich genau daran erinnern, wie er an die Türen der Bibliothek geklopft hatte. Allerdings hatte man ihm den Zutritt verwehrt. Man wollte den Hund nicht hereinlassen. Man hatte Angst, dass er ohne Futter früher oder später jemanden beißen würde. Der Bettler blieb lieber bei seinem Hund. Und nun saßen die beiden da draußen, für immer vereint.
Rachel horchte in sich hinein. Nein, sie empfand kein Mitleid mit den beiden. Denn am Ende ging es ihnen besser als allen hier drin.
Anfangs hatten sie alles verbrannt, was an Holz da war. Nun waren die Bücher dran. Und scheinbar tat es niemanden weh, dass unwiederbringliche Werke sich in kürzester Zeit vom geflügelten Wort in graue Asche verwandelten.
Doch nicht nur das war hier drin ein Problem. Statt zusammenzurücken, sich gegenseitig zu wärmen und aufzubauen, gab es Misstrauen, Rivalität und Hass. Der ganze Raum vibrierte davon und machte die Kälte nur noch schlimmer.
Wenn nicht bald Hilfe kam, würde hier niemand mehr übrig bleiben.
Toni, ein seit ewigen Zeiten in der Stadt lebender Italiener, war zusammengeschlagen worden. Er hatte es gewagt, die Türen für eine Gruppe Albaner zu öffnen, die sich mit letzter Kraft bis hierher durchgeschlagen hatten. Ihnen wurden die Lebensmittel, die sie bei sich hatten, entrissen und dann wurden sie wieder hinausgeworfen.
Eine kleine Gruppe hatte sich zusammengerottet und es übernommen, die verbliebenen Lebensmittel zu rationieren und zu entscheiden, wer rein durfte und wer nicht.
Rachel wandte sich vom Fenster ab und schaute sich im Raum um. Jede Gruppe blieb für sich. Man sah den Hass, die Angst in ihren Augen und spürte die Kälte in ihren Herzen.
Rachel lief eine Träne die Wange hinab. Wollte sie in so einer Welt leben? In einer Welt, in der der andere neben dir nichts wert war, nichts zählte? In der nur der eigene Überlebenswille zählte? Eine Welt ohne Mitgefühl? Ohne Wärme?
Langsam ging sie durch den Raum auf die Tür zu. Sah, wie zwei Kinder, etwa zwölf und dreizehn Jahre alt, einer Mutter die Babydecke entrissen, mit der sie ihr kleines Kind zudecken wollte. Nahmen es und rannten lachend davon. Herzen aus Eis. Überall sah sie trotz des Feuers, das in dem vorhandenen Kamin brannte, eisige Kälte.
Als sie die Tür hinter sich schloss, griff die draußen herrschende Kälte nach ihr. Doch ihr wurde warm ums Herz, als sie sich mit letzter Kraft an den Albanern vorbei schleppte, die eng umschlungen neben der Treppe standen. Erstarrt zu einem kalten Mahnmal. Und dahinter sah sie als letztes das Pärchen, innig in einem letzten Kuss vereint.
Mit einem Lächeln auf den Lippen spürte sie, wie die Kälte ihr das Leben nahm. Aber ihr Herz brannte lichterloh.
Wie ergreifend! Ich kann nur hoffen, dass das in einer Zukunft spielt, die nie Realität für uns wird.