Wenn verrückte Professoren über die Stränge schlagen…
Winfred Kurbelzisch, der renommierteste aller Absolventen des Studiums für Hexaphysik der Akademie von Gnomenstaed, wuselte durch den mit unidentifizierbarem Krimskrams zugestellten Raum. Wo war die verflixte Schraube? Sein Hextechmonokel summte leise, als sich die Vergrößerungslinse automatisch auf die Suche nach diesem scheinbar unauffindbaren Objekt begab. Winfred kratzte sich nachdenklich an seinem Bart, der aufgrund eines missglückten Experiments zu 99,99 Prozent aus Brokkoli bestand und seufzte. Wenn er darauf angesprochen wurde, antwortete er immer mit der Erklärung, dass nachhaltig jetzt „in“ sei, um anschließend schleunigst das Weite zu suchen. Die Leute konnten wirklich zu penetranten Nervensägen mutieren, vor allem, wenn sie ihn auf seine bisher berüchtigste Schöpfung ansprachen.
Sein sagenhafter Ruhm basierte darauf, dass er einst eine Frau in ein Pferd verwandelt hatte. Angeblich. Dass die Frau schon vorher so ausgesehen hatte und die Geschichte dahinter die eigentliche Erfindung war, schien niemanden wirklich zu kümmern. Aber zweifelsfrei hatte Winfred sich damit einen Namen gemacht, sogar unter den berühmteren Gnomenprofessoren.
Bekannt genug, um sich bei Dingo, dem warzenübersähten Halbriesen, dessen Doppelkinn einem Stierhoden bedenkliche Ähnlichkeit entgegenbrachte, hochgradig zu verschulden. Irgendwoher mussten ja die finanziellen Mittel für seine unglaublichen Entdeckungen kommen und ein renommierter Hexaphysiker und Wissenschaftler vergeudete seine Zeit nicht mit ehrlicher Arbeit. Also wirklich…
Und viel dieser Zeit blieb ihm nicht mehr. Der in die Tage gekommene Gnom musste sein Zuhause, den Gnomenbau „Wir-lassen-das-jetzt-so“, schleunigst hinter sich lassen, wenn er einem unverhofften Zusammentreffen mit seinen Gläubigern entgehen und seinen restlichen Lebensabend genießen wollte. Also hatte er unaufhörlich an seiner bisher größten Schöpfung gefeilt: Dem Portalrekombulator. Eine Maschine, die es ihm ermöglichte, in andere Dimensionen einzutauchen. Sie hatte drei Aufladungen, die er verwenden würde, um die richtige Dimension zu erwischen. Sicher ist sicher. Während Winfred endlich nach der Schraube griff, die scheinbar stundenlang vor seiner Nase herumgelegen hatte, kratzte er sich erneut am Bart. Vielleicht sollte er das Experiment noch einmal überdenken? Wenn seine Haare sich der Konsistenz seiner Gesichtszierde anschließen würden, wäre es endgültig vorbei mit ihm. Nein, er hatte keine Zeit. Dingo konnte schon auf dem Weg sein. Schleunigst setzte er die Schraube ein und aktivierte die Maschine. Sie rumpelte und zischte, während sie die Materie verformte, um ein Portal zu schaffen.
Während sich das Portal langsam vor ihm öffnete, schwelgte Winfred für eine Sekunde in seinen Erwartungen darüber, was ihn hinter dem Portal erwarten würde: Ein geschmeidiges Himmelbett, eine wunderschöne Elfe, die ihm Trauben reichte, bis er platzte und natürlich Dingo, der ihm Wind mit einem Farn zufächerte. Das Ganze möglichst mit Meeresblick, denn das soll ganz schön sein, hatte er zumindest mal gehört. Endlich konnte er die Früchte seiner jahrelangen, mal mehr, mal weniger harten Arbeit genießen.
Für einen Moment machte sein Magen einen Salto Mortale, dann befand er sich urplötzlich in einer völlig anderen Dimension. Vor ihm erstreckten sich Bäume aus pinken Zuckerguss, die mit Glitzerstaub bedeckt waren. Teddybären räkelten sich verkuschelt darunter und bunte Einhörner in hellem Blau und Rosa trabten durch die Wälder. Als die Teddys ihn erspähten, winkten sie ihm zu und deuteten an, dass er sich ihrer endlosen Kuschelorgie ruhig anschließen dürfte. Winfred Kurbelzisch blickte sich kritisch um. So war das nicht geplant gewesen. Er, der renommierte Hexaphysiker Winfred Kurbelzisch, war wohl im Traum eines jungen Mädchens gelandet. Dingo würde vor Lachen keinen Schlaf mehr finden, würde er hiervon erfahren. Das konnte Winfred nicht auf sich sitzen lassen! Er aktivierte den Portalrekombulator, um es erneut zu versuchen. Doch irgendetwas schien den Mechanismus zu blockieren. Panisch bemerkte der Gnomentüftler, dass die Teddybären bereits auf dem Weg zu ihm waren. Mit ausgestreckten Armen torkelten sie auf ihn zu und stöhnten: „Liebe, Liebe, LIEBE!“ Verdammt, die wollen mir an die Wäsche! Wie ein Wahnsinniger hämmerte Winfred auf die Tasten des Rekombulators ein. Die Maschine dröhnte, als die zweite Aufladung verbraucht wurde. Himmelbett, Elfe, Meer, Entspannung überlegte der Gnom, vielleicht half das ja. Es ist an der Zeit, dieser schnöden Welt zu entfliehen, er atmete tief durch und stieg in das Portal.
Winfred erkannte sofort, wo er gelandet war und sein Magen wollte sich instinktiv ein zweites Mal umdrehen. Er lag in seinem alten Kinderbett, welches dem G-N-O-M 5000 TX Zerstörerpanzers nachempfunden war und über seinem Kopf baumelte das alte Mobile aus Schraubenschlüsseln, welches ihm sein Vater Herman zur Geburt vermacht hatte. Jedoch wurde dieser von seiner geisteskranken Frau, Wilfreds Mutter, bei einem Experiment per Rakete in den Himmel geschossen und ward nie wieder gesehen. Und das, obwohl die einzige Angst eines Gnomes dem Verlust des Erdbodens unter den Füßen galt: deswegen vernachlässigten sie schließlich auch den Sportunterricht und tanzten nicht mit Wesen, die größer waren als sie. Angeblich hatte Herman einmal zu oft vergessen das Klo zu spülen oder das dreckige Geschirr wegzuräumen und Winfred war sich sicher, das Experiment konnte nur ein Attentat gewesen sein. An dem Tag war er geflohen und nichts fürchtete er mehr, als die Rache seiner Mutter, die zweifellos schlimmeres mit ihm anstellen würde, als ihn in die Luft zu jagen. Polternde Schritte vor seiner Tür, als näherte sich der Teufel persönlich, ließen ihn hellhörig werden. Mutter kommt, dachte er in Todesangst. Ich muss verschwinden. Er, der renommierte, geniale, unnachahmliche Hexaphysiker Winfred Kurbelzisch, wollte heute noch nicht sterben. Eilig griff er nach dem Portalrekombulator, um die letzte Ladung zu verbrauchen. Jetzt muss es doch funktionieren!
Es zischte und knallte, als sich das Portal hinter ihm schloss. Er lag auf einem Himmelbett, irgendwo spielte eine Harfe. Ein Blick aus dem Fenster verriet Winfred, dass das Meer unter ihm lag, zumindest sah es ganz so aus wie die Beschreibungen seines alten Freundes Martin. Nass und Blau. Und der war schließlich ein Mann von Welt. Endlich, ich habe es geschafft! Plötzlich öffnete sich eine Tür zu seiner linken und Winfred fuhr erschrocken herum. Vor ihm stand Dingo, aber er sah seltsam aus und hatte keinen Fächer in der Hand. Der Halbriese trug knallrote Spitzenunterwäsche und hatte sich den Mund in gleicher Farbe bemalt. Seine Wimpern klimperten auf und ab, als er in Richtung des Bettes tänzelte. Das furchtbare Doppelkinn sank in anmutigen Wellenschlägen auf und ab, während er immer näher kam und die Lippen zu einem ekelhaften Kussmund verzog. Dingo krabbelte auf das Bett und streckte seine langen Finger nach Winfred aus, während er mit der anderen Hand die Brust unter der Unterwäsche freilegte. Panisch schrie der Gnom auf und griff nach dem Rekombulator. Angstschweiß flutete aus seinen Poren und sein Herz pochte wie wild. Er, der renommierte, geniale, unnachahmliche, omnipotente, Hexaphysiker Winfred Kurbelzisch… und ein Halbriese? Wer war hier überhaupt gerade die Frau? Als er bemerkte, dass alle Aufladungen aufgebraucht waren, setzte sein Herzschlag für eine Sekunde aus. Alles drehte sich um ihn. Winfred rechnete fest damit, gleich Dingos furchtbar ekelhaftes Kinn liebkosen zu müssen. „Nein!“, schrie er aus vollem Halse. „NEIIIN!“
Dann wurde alles schwarz.
Schweißgebadet wachte er auf. Sein Bett war kein Panzer, die Bäume vor seinem Fenster waren grün und von Dingo war nichts zu sehen. Er, der renommierte, geniale, unnachahmliche, omnipotente, Hexaphysiker Winfred Kurbelzisch, hatte geträumt. Sein Blick ging zu der Werkbank, wo der dreimal verwunschene Portalrekombulator auf seine Fertigstellung wartete und ihn zu verspotten schien. Und eines stand für den Gnomenprofesssor unausweichlich fest: Dieses Projekt wird sowas von verworfen!
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