Ingo liebt seine Akten

Meine Eltern hatten ein eigenes Büro und so wuchs ich als Arbeitgeberkind auf.
Ich erinnere mich noch an die typische Duftnote im Büro meines Vaters, die sich von der in den anderen Räumlichkeiten unterschied. Oben in seinem Büro und dem seiner Sekretärin herrschten seine Zigarillos und sein Aftershave vor. Unten, wo meine Mutter und die Mitarbeiter ihre Arbeitsplätze hatten, wetteiferte die Druckerschwärze des Kopierers mit der Tinte der Stifte, die die Technische Zeichnerin benutzte. Natürlich waren dies nur dezente Noten, die im kalten Zigarettenrauch der Kollegen fast untergingen.
Für mich roch das damals mehr nach einem Zuhause als unser Haus, in dem der Geruch des Hundes dominierte. Und so ist es noch heute. Ich ziehe Büroluft dem Bücherduft vor. Mit einem Unterschied: Ich mag keinen Rauch.

Der Kopierer

Ich durfte schon früh den Kopierer benutzen. Anfangs, um damit zu spielen und später, um Akten zu kopieren. Ausheften, auf das Flachbett, zuklappen, auf den Knopf drücken. Wieder den Deckel hoch, einheften und von vorn. Jedes einzelne Blatt, wenn Seiten geheftet waren. Und es war viel geheftet. Dabei war darauf zu achten, dass die Reihenfolge sowohl der Vorlage als auch der Kopien nicht durcheinanderkam.
Unser Kopierer war damals noch ein riesiges Ungetüm, das auf dem Boden stand. Es hattet vergleichsweise wenig Funktionen. Kopieren eben. Dabei konnte es entweder alle gleichen Seiten in einem Fach sammeln, oder die Kopiervorlage in der richtigen Reihenfolge. Unser Kopierer konnte Farbkopien machen und das war damals noch selten.
Manchmal konnte ich sogar einem Mitarbeiter weiterhelfen, der sich mit dem Gerät noch nicht so gut auskannte. Etwa mit dem Hinweis, dass man sich die Hände nicht waschen darf, wenn nach einem Tonerwechsel Tintenpulver daran haftet. Denn damit machte man es nur schlimmer und das wusste nicht jeder. (Die Tinte wurde flüssig und färbte die Haut; das hielt an, bis die Haut sich erneuert hat.) Am besten zog man Handschuhe an, denn auch Schweiß löste die Farbe.
Oder es ging um die Frage, wie man das Gerät dazu brachte, ein anderes Fach zu nutzen, weil man eine Vorlage in einem anderen Format als DIN A4 hatte.

Zuhause

Als Schriftsteller schäme ich mich fast, das zuzugeben, aber: In meinem Regal zu Hause nehmen meine Akten mehr Raum ein als Bücher. Für mich sind meine Unterlagen so etwas wie für andere Fotoalben. Da hängen Erinnerungen dran, weshalb es mir schwerfällt, alte Vorgänge zu entsorgen. Ich hefte jedes einzelne Schreiben ab.
Leider gibt es immer mehr Geschäftspartner, die gänzlich auf digitale Konversation umgestiegen sind. Wenn ich da nicht alles ausdrucken will, was ich online einsehen kann, bleiben die neuen Akten sehr dünn. Und so weit gehe ich dann doch nicht, Mails auszudrucken.
Es gibt noch einen weiteren Aspekt, warum ich an den Aktenordnern festhalte und sie nicht schon längst verschlankt oder gar entsorgt habe: Ich fühle mich wohl in meiner kleinen Büro-Ecke. Die Präsenz der Akten fühlt sich für mich nach einem Zuhause an.

Euer Ingo S. Anders

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