Die Wellen schlagen mir gegen die Fußknöchel. Um mich herum ist nur das Rauschen des Meeres zu vernehmen. Das Wasser ist kalt und ich frage mich, weshalb ich überhaupt die Socken und Schuhe ausgezogen habe. Einerseits friere ich beträchtlich, andererseits kann ich es nicht lassen, die Füße in dieses fremde Wasser zu halten und für einen kurzen Moment Teil davon zu sein.
Vor allem sieht es friedlich aus. Es ist weder aufgewühlt, noch trüb. Im Grunde ist es alles, was ich nicht bin. Irgendetwas ist da in mir, das mir zu schaffen macht. Um die ganze Welt bin ich gereist, Stunden um Stunden habe ich im Flieger gesessen, in Taxis die Nase an die Fensterscheibe gedrückt und in irgendwelchen billigen Hotels meinen Jetlag ausgeschlafen. Das alles nur um mich jetzt hier zu finden. An diesem Steg, der normalerweise gut besucht ist, wenn die Sonne scheint und das Wasser nicht so eisig kalt an die Ufer drängt.
Ich habe weder eine Flasche Wasser dabei, noch eine Kleinigkeit zu essen. Ich habe nicht mal Geld, weil ich noch nicht dazu kam, eine der Wechselbuden aufzusuchen. Eigentlich habe ich nur den Schlüssel zu meinem neuen Zimmer in der Tasche. Die Schuhe, in denen ich die acht Kilometer bis zum Ufer gelaufen bin, stehen neben mir und fragen mich mit großen Augen, was ich hier gerade mache. Die einzelnen Passanten bleiben mit den Gesichtern an mir hängen, obwohl sie eilig vorbeigehen. Das alles bemerke ich und doch sehe ich nur das Wasser, das hier an diesem Ort irgendwie anders ist. Der Wind peitscht meine Haare auf und lässt sie in alle Richtungen fliegen. Meine Wollmütze liegt in meinem Koffer unter dem Bett in meinem neuen Zimmer. Gleich neben ihr liegen auch meine Handschuhe, weshalb meine Hände in den Jackentaschen frieren. Alles was ich tun müsste wäre aufzustehen, die Schuhe wieder anzuziehen und zügig wieder nachhause zu gehen. Nachhause. Da, wo mein Koffer unter dem Bett liegt. Da, wo ich dieses eigentümliche Rauschen nicht hören kann. Dieses seltsame Wasser, das mich verzerrt spiegelt, während ich es mit meinen Blicken zu durchlöchern versuche. Es ist still und gibt nicht preis, wie es zu seiner Ruhe gelangt.
Ich muss wohl noch einige Male herkommen um zu begreifen, wie das geht. Aufgewühlt und in trüber Stimmung verlasse ich also den Steg und mache mich in meinen warmen Schuhen zurück auf den Weg.
Irgendwann werde ich von dieser Reise erzählen. Ich werde darüber berichten, was ich erlebt und gesehen habe. Ich werde die Menschen mit tollen Landschaftsaufnahmen beeindrucken und sie verträumt die Köpfe zurücklehnen lassen. Doch das hier, was ich hier im Eigentlichen mache, das werde ich, wie sonst auch, niemandem erzählen. Es wird keine Fotos von diesem Steg geben und an dieses Wasser werde ich mich lediglich erinnern, wenn ich alleine bin. Dieser Steg, das Wasser und der Sinn meiner Reise, all das bleibt tief verborgen. Irgendwo vergraben, bis ich verstehe, warum ich 18.400 Kilometer geflogen, 40 Kilometer gefahren und acht Kilometer gelaufen bin, nur, um meine Füße in eiskaltes Wasser zu hängen.
Auch mir bleibt der Sinn verborgen.
Sehr geheimnisvolle Geschichte. Sollte die Leserin den Background ahnen?
Gruß, Edith
Liebe Edith,
vielen Dank für deinen Kommentar und bitte entschuldige meine späte Antwort.
Was ich hier beschreiben wollte: eine Reise zu sich selbst. Einen Moment der Klarheit, der letztendlich mehr wert ist, als alles andere, was auf dieser Reise geschieht. Allerdings ist dieser Moment so abstrakt, dass nicht davon erzählt werden kann. Er ist dennoch die schönste Erinnerung der ganzen Unternehmung, aber er „gehört“ ausschließlich dem Menschen, der ihn erlebt hat.
Liebe Grüße!
Eine Reise weg von dir – hin zu dir. Nachdenken über das sinnlose im Leben, Nachdenken über den Sinn deines Lebens. Versuch die sich breitgemacht Leere zu verstehen. Versuchen dem Außenherum zu entkommen – innehalten genau hier, genau jetzt.
Wunderbare Zeilen und genauso wunderbare Bilder.
Habe ich sehr gerne gelesen. Dankeschön!