Doktor Mantis J. Crowler beugte sich über seine Messungen. Wenn er Recht behalten sollte, war das eine Sensation, die ihn noch in den entlegensten Winkeln der galaktischen Föderation berühmt machen könnte. Der grauhaarige Mann in den besten Fünfzigern betrachtete seine Monitore durch eine Nickelbrille, in deren Glas sich der Schein der Bildschirme spiegelte und kratzte sich nachdenklich durch den samtigen Vollbart. Dann griff er in seinen weißen Kittel und fingerte eine Festplatte hervor, um sie mit seinen Datenquellen zu vernetzen. Wenn es darum ging, Informationen sicherzustellen, kannte Crowler kein Pardon.
Das Prasseln des Regens klopfte beständig an die verstärkten Fensterscheiben seiner Forschungseinrichtung, denn die zwei Sonnen Hercules und Ameus sorgten für ein hitziges und somit feuchtes Klima auf dem Planeten Nautilon, dessen Oberfläche gänzlich aus Wasser bestand und somit durch Verdunstung für permanente Regenströme sorgte. Eigentlich war Crowlers Abteilung dafür zuständig, medizinische Stoffe aus den Biotopen, die sich unter dem Wasser befanden, zu extrahieren und an die Fakultät auf Prospecteus zu liefern.
Eine mühselige und zweifelsohne gefährliche Aufgabe, wenn man bedachte, das die Gigantyras in den abgrundtiefen Schatten der Gewässer lauerten. Raubfische, groß wie ein halbes Hochhaus und mit der tollwütigen Aggression eines geifernden Hundes ausgestattet, der eher sterben würde, als seinen Biss zu lockern. Außerdem drangen gelegentlich hochexplosive Gase ohne Vorwarnung aus ihren Schlothöhlen, was ein wahnwitziges Problem darstellte, wenn man mit bemannten Bohrköpfen durch die Erde dringen wollte.
Doch wenn man davon absah, war Nautilon eine Perle der Natur. Korallenriffe erstreckten sich kilometerweit durch den Ozean, ihre Farbenpracht und Artenvielfalt war nahezu grenzenlos. Riesige Kelpwälder tanzten im stillen Gleichklang durch die Gezeiten und Fischschwärme unterschiedlichster Größe schossen, auf der Suche nach Nahrung, in bunten Verbänden darum herum. Quallen, groß wie ein Lastwagen, trieben im Spiel des Wassers umher, ihre Fangarme schillerten silbern wie das Mondlicht und ihr Hut war mit ineinander vernetzten, türkisen Mustern ausgestattet, die in der Dunkelheit der Nacht so grell leuchteten wie eine Neonreklame auf Prospecteus. Und wenn seine Berechnungen stimmen sollten, hatten sie gerade einmal 2 Prozent der hiesigen Biotope erkundet und kartographiert.
Doch das, was Crowlers Faszination erregt hatte, war etwas anderes. Am Rande der großen Sanddünen, die irgendwann einen senkrechten Abstieg in die abyssischen Tiefen des Planeten vollführten, hatten seine Scans eine ungewöhnliche Struktur signalisiert. Wenn diese Entdeckung an die Öffentlichkeit gelangen würde, könnte sich ihr ganzes Verständnis über den Warp verändern.
»Funk die Zentrale an!«, rief er laut durch das großräumige Labor, in der Hoffnung, dass sein Gehilfe Ronald ihn hören würde. »Und mach dich darauf gefasst, dass sich unser Leben bald maßgeblich verändern könnte.«
***
Daisy Lee stampfte kaugummikauend durch den Hangar. Ein neuer Job war ihr durchaus willkommen, nachdem sie ihre Anstellung bei Centaur Industries durch eine klitzekleine Meinungsverschiedenheit mit ihrem Vorgesetzten verloren hatte. Aber dass sie ab heute an Bord eines Patrouillenkreuzers dienen sollte, hatte ihr den nötigen Nervenkitzel verliehen, der ihren Job als Chefmechanikerin so interessant machte.
Und der Kommandant des Kreuzers. Archweyll Dorne. So wie der Relictor es gesagt hat. Ein weiterer Aspekt ist gefunden.
Dass sie vorher noch nie auf einem so großen Schiff gedient hatte, beeindruckte Daisy nicht im geringsten. Um bei Centaur Industries, dem renommiertestem Waffenhersteller der galaktischen Föderation, eine Anstellung als Putzfrau zu finden, musste man schon eine hohe Qualifikation an den Tag legen. Da blieb die Frage, was es bedeutete, einer der wichtigsten Ingenieure der gesamten Anlage zu sein, einfach ohne einer Antwort zu bedürfen im Raum stehen.
Laute Rufe und elektronische Sirenen begleiteten ihren Weg, die Luft roch nach Dieselmotoren und Maschinenöl.
Herrlich.
Sie rückte ihre dreckige Wollmütze zurecht und atmete einmal tief durch. Hier roch es nach einer Menge Arbeit. Instinktiv hoffte sie, dass ihr neuer Vorgesetzter ein tiefgründigeres Gespür für ihre wertvolles Können an den Tag legen mochte, doch bei der Aussicht einem Befehlshaber des Militärs unterstellt zu sein, lief es ihr kalt den Nacken runter. Es gab kaum langweiligere Bürokraten, die sesselfurzend auf ihre Vorschriften pochten, aber insgeheim hofften, jeder würde in ihnen den harten Kerl erkennen. Solange er seinen Zweck erfüllt. Und wenn er mir Schwierigkeiten macht, lege ich ihn einfach um.
Plötzlich bäumte sich vor ihr ein riesiges Raumschiff auf. Auf der Außenbordwand ließ sich der rötliche Schriftzug, welcher den Namen des Schiffes veranschaulichen sollte, gerade noch erahnen. Atharymn. Ein Licht sprang auf grün, als sie sich näherte, und zischend öffnete sich eine Pforte, hinter der sich ein Aufzug befand. Daisy grub tief in den bodenlosen Taschen ihrer ölbefleckten Sicherheitshose herum, kramte Schraubenschlüssel, Zigaretten und einen Kugelschreiber hervor, bevor sie endlich fand, was sie gesucht hatte. Sie hielt die Karte, die ihr der Beamte ausgeteilt hatte, vor den Scanner und der Aufzug öffnete sich ratternd, beförderte sie in schwindelerregende Höhe. Wenn sie den jemals so etwas wie Schwindel empfinden konnte.
»Du wirst Technikstation B14 bemannen, es könnte sein, dass dein Vorgänger etwas … sagen wir: heikle Umstände herbeigeführt hat. Rechne also nicht unbedingt damit, mit offenen Armen empfangen zu werden«, hatte ihr der Beamte mit auf den Weg gegeben.
Ein Stirnrunzeln war ihre einzige Reaktion gewesen. Wenn der Kommandant sie fertig machen wollte, konnte er sich auf etwas gefasst machen. Ein Grinsen entwich ihren Lippen, bei dem Gedanken daran.
Wir werden ja noch sehen, wer wen fertig macht.
»Abteilung 1 – Kommandobrücke«, krähte eine mechanische Stimme und die Türen öffneten sich quietschend. Nun sollte sich zeigen, wie sich Daisys mittelfristige Zukunft gestalten würde.
***
»Bist du dir sicher, dass wir einen neuen Chefmechaniker brauchen? Der letzte hat sich als überaus widerspenstig erwiesen«, fragte Clynnt Volker bedächtig. Die Sorgenfalten auf seiner Stirn hatten ihn seit den damaligen Ereignissen fast gänzlich für sich eingenommen.
Archweyll quittierte ihn mit einem bellenden Lachen. »Bei all der Liebe, die ich für Bebsy hege, pflegen kann ich die alte Dame nicht. Da braucht es einen Profi und ich vertraue nur den besten.«
»Wie Howard Bering?«, erwiderte der Chefnavigator spitz.
»Mein Gott, Clynnt, du bist ja heute in Topform«, lobte ihn der Kommandant mit einem Klopfer auf die Schulter, welcher den Navigatoren in seinen Grundfesten erschütterte. Doch als er sah, wer da aus dem Aufzug kam, wurde ihm dennoch mulmig zumute.
»Das ist ja fast noch ein Kind«, flüsterte Clynnt und knirschte mit den Zähnen.
Die junge Frau, das auf sie zukam, kaute gelassen auf einem Kaugummi herum und schien den riesigen Rucksack auf ihrem Rücken kaum zu bemerken. Sie trug eine schwarze Lederjacke und eine farblose Mütze, ihre schweren Lederstiefel glitten fast geräuschlos über das Deck. Das krause blonde Haar hatte sie zu zwei Zöpfen zusammengebunden und auf ihren kecken Lippen lag ein breites, aber ehrliches Lächeln, das die Sommersprossen auf ihren zarten Wangen förmlich zum Glühen brachte.
Archweyll studierte sie eingehend und stellte fest, dass er noch nie so lebensfrohe blaue Augen gesehen hatte. Und Leben war etwas, das sie an Bord wahrlich gebrauchen konnten. Seit den Reparaturarbeiten lag der Kreuzer still und eine bedächtige Ruhe hatte seine Korridore erfüllt. Nun wurde es Zeit, wieder in den Warp aufzubrechen.
»Ganz nett habt ihr es hier«, lachte ihnen die Frau entgegen. »Ich bin Daisy Lee und soll hier als Chefmechaniker antreten. Mache Meldung.« Sie salutierte gespielt ehrfürchtig.
Clynnt rümpfte die Nase. »Wir werden schneller tot sein, als wir Babypuder rufen können«, flüsterte er forsch in Archweylls Ohr. Der Kommandant grunzte ihm etwas unverständiges entgegen.
»Oh nein«, der Chefnavigator trat einen Schritt zurück. »Diesen Gesichtsausdruck hast du erst einmal an den Tag gelegt, damals, als Tamara hier angeheuert hat. Bitte, nicht schon wieder, Arch.«
»Klappe«, knurrte der Kommandant. »Begrüßt man so einen Frischling?« er breitete feierlich die Arme aus. »Willkommen an Bord der Atharymn!«, rief er Daisy entgegen. »Ich bin Kommandant Archweyll und dieser gutaussehende, überaus sportliche Jungspund zu meiner Rechten, ist Cylnnt Volker, mein Chefnavigator.«
Der Mann nickte knapp zur Begrüßung.
»Er mag mich nicht. Das ist in Ordnung, solange er nicht in meiner Arbeit herumpfuscht«, antwortete Daisy gelassen.
Archweyll hörte, wie Clynnt scharf die Luft einsog, sich aber dann doch gegen einen Kommentar entschied.
»Wie ich sehe, scheust du dich nicht davor, deine Meinung kundzutun«, begann er seine Ansprache, doch er wurde jäh unterbrochen.
»Ihr werdet mit meiner Meinung leben müssen oder ich bin weg. Denn sonst kann ich meine Arbeit nicht so ausführen, wie es für alle das Beste wäre. Ich brauche niemanden, der mir sagt, woran ich bin. Das sehe ich von alleine.« Sie zwinkerte dem Kommandanten zu. »Und manchmal gefällt mir sogar, was ich sehe.«
»Ich werde ja ganz verlegen«, räusperte sich Archweyll »Ich zeige dir alles, was du für deine Arbeit wissen musst«, erklärte er dann. Clynnts Kopfschütteln bekam er nur am Rande mit.
»Wenn Tamara das rausfindet, bist du tot«, kicherte der Chefnavigator nur, bevor er sich wieder seiner Arbeit zuwandte.