Voidcall: Das Rufen der Leere – Kapitel 2: Der wahnsinnige Techniker


Als die Lichter das erste Mal zu flackern begannen, war sich Archweyll fast sicher, dass es nun auch um ihren Notstrom geschehen war. Glücklicherweise hatte sich dieses Bauchgefühl bisher noch nicht bestätigt. Auf seinem Weg zu den tieferen Docks des Patrouillenkreuzers begegneten ihm missmutige Blicke, sie verfolgten ihn wie sein eigener Schatten. Der Kommandant spürte Unbehagen in sich aufkeimen. Je tiefer er in das Raumschiff vordrang, desto schlimmer wurde dieses Gefühl. Seine schweren Aspexylstiefel klackten bei jedem Schritt, den er die Treppen herunterschritt, und ihr Echo hallte durch den Korridor, der ihn wie ein stählerner Mund zu verschlucken schien. Wieder flackerte das Licht. Hier unten waren keine Menschen. Die Maschinenräume waren durch die Antriebsenergie radioaktiv verseucht und nur Roboter konnten sich hier längere Zeit aufhalten. Roboter und Howard Bering. Archweyll schüttelte sich. Hier unten kam er sich verloren vor. Als wäre er ein Niemand, im willkürlichen Spiel des großen Ganzen. Das Treppenhaus fand ein jähes Ende und er befand sich vor einer mechanischen Pforte. Er legte seine Hand auf den Türgriff und der Scanner analysierte deren Struktur. Dann sprang das Licht auf grün und die Pforte öffnete sich zischend. Eine weitere Sicherheitstür blockierte seinen Weg. Er befand sich in einer Schleuse, die ihm den nötigen Schutz vor der Strahlung gewähren würde.
„Initiiere Startfrequenz“, knisterte eine mechanische Stimme.
„Ah, hallo Bebsy“, frohlockte Archweyll. „Heute nehme ich den weißen Anzug. Ich bin in Feierlaune. Krawatte nicht vergessen und sei doch so gut und spiel mir Musik.“ Es zischte lautstark, als die Hydraulikgelenke des Schleusenroboters damit begannen, ihn in einen Schutzpanzer einzukleiden und von oben bis unten zu desinfizieren. Das war wohl die einzige Musik, die Bebsy kannte.
Irgendwie stimmte es den Kommandanten traurig.
Längliche Roboterarme legten Schritt für Schritt einen weißen Panzer aus Aspexyl um den Kommandanten, bis er gänzlich darin eingehüllt war. Die Dichte dieses künstlichen Metalls war so unglaublich fest, dass radioaktive Teilchen nicht eindringen konnten, was ausgesprochen wichtig war, wenn man auf einem Raumschiff diente. Diese wurden in der Regel mit Reaktoren betrieben, deren Strahlung ausreichte, um einen ganzen Planeten zu verseuchen. Eine stählerne Hand legte Archweyll eine Sauerstoffmaske auf, dann verstummte Bebsys Lied und die zweite Pforte öffnete sich. Dahinter befand sich ein Aufzug, der ihn noch weiter in die Tiefe bringen würde.

Patrouillenkreuzer waren im Durchschnitt gesehen sehr große Schiffe, mit rund 10.000 Mann Besatzung, eigenen Frachträumen und Hangaren, Munitionsbatterien, Werkstätten und Wohnkegeln. Im Notfall mussten sie auf sich alleine gestellt klar kommen und dafür war die Atharymn ausgelegt. Nur die föderalen Fregatten und die legendären Hellscreamer konnten ihr an Größe das Wasser reichen. Der Aufzug setzte sich surrend in Bewegung und beförderte den Kommandanten zu den tiefsten Ebenen des Kreuzers, wo sich die essentiellen Maschinenräume befanden. Nach einer gefühlten Ewigkeit öffnete sich die Tür und gab den Blick auf einen düsteren Korridor preis. Normalerweise war hier das ohrenbetäubende Dröhnen des Antriebs zu vernehmen, heute jedoch war es totenstill. Archweyll schritt eilig durch die Dunkelheit, passierte stählerne Türen und zischende Pforten. Kein Lebewesen kreuzte seinen Weg. Dann hatte er sein Ziel erreicht. Vor ihm befand sich die Werkstatt des Chefmechanikers.

Ohne zu klopfen trat er ein. Hier musste er Autorität an den Tag legen, das war Archweyll bewusst. Die Werkstatt wurde durch röhrende Notstromaggregate mit Energie versorgt und allerlei seltsame Konstruktionen hingen, mechanischen Armen gleichend, von der Decke. In der hintersten Ecke befand sich eine holographische Sternenkarte der bisher kartographierten Galaxis.
Er fand Howard Bering schweigend über einen sterilen Metalltisch gebeugt, während er eingehend einen Körper analysierte.
„Die Dunkeln Engel sind schon faszinierende Wesen“, begrüßte ihn der Meistertechniker murmelnd.
„Howard, was zum Teufel?“, schoss es direkt aus Archweyll heraus. Experimente mit Leichen waren strikt untersagt und diese Tatsache war jedem auf dem Schiff bewusst.
Der Chefmechaniker drehte sich zu ihm um. Howard Bering war ein geduckter Mann mittleren Alters. Dennoch hatte sich sein mausbraunes Haupthaar fast gänzlich von ihm verabschiedet und hing in dreckigen Strähnen von seinem unförmigen Kopf. Sein Gesicht glich eher dem einer Ratte, als dem eines Menschen. Er hatte eine dreckige Schürze angelegt, in der allerlei Gerätschaften untergebracht waren, und trug ein surrendes Hextech-Monokel. Seine linke Hand fehlte und war durch ein Geschwür aus wabernden Tentakeln ersetzt worden. Eines der vielen fehlgeschlagenen Experimente der Apotekaris auf Prospecteus, einem der drei Ankerplaneten der Föderation. Howard Bering war ein Mutant. Ein verdammt gefährlicher Mutant. Hätte Archweyll ihn nicht aufgenommen, hätte er in einer Zelle im intergalaktischen Gefängnis der Föderation den Rest seines Lebens abgesessen. Nicht jedes ehemalige Mitglied der Hände der Herrlichkeit konnte von so einem Glück sprechen.
„Experimente an Leichen sind strikt untersagt. Wieder einmal missbrauchst du mein Vertrauen. Ich hätte dich in einer Zelle verrotten lassen sollen“, spuckte der Kommandant zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. „Und dennoch hast du es nicht getan“, Howard blickte nicht von seiner Arbeit auf, während er sprach.
Archweyll trat an ihn heran. Was er sah, ließ seine Magengrube flau werden. Auf dem Tisch lag der ausgeweidete Körper eines Dunklen Engels. Die Schädeldecke war geöffnet worden und seltsame Apparaturen arbeiteten darin.
Sie waren verbunden mit einem Tablet, welches der Chefmechaniker studierte als hinge sein Leben davon ab. „Sie besitzen kein Gehirn wie wir es kennen“, sagte Howard fasziniert und zeigte dem Kommandanten eifrig ein Scan auf dem Display. Dieser stellte eine würfelähnliche Konstruktion dar, die durch Glasfaserkabel mit dem ganzen Körper vernetzt zu sein schien. „So wie ich vermute, sind all ihre Gedanken, Empfindungen und ihr Wissen in einer riesigen Cloud miteinander verbunden. Ein gesellschaftliches Kollektiv, eingearbeitet in einen winzigen Schädel. Stell dir doch einmal vor welche Möglichkeiten das bietet. Wenn es uns gelingen sollte, ihre Informationen aufzusammeln, steht uns das Wissen einer hochkultivierten Zivilisation zur Verfügung. Einer Zivilisation, die schon den Weltraum besiedelt hat, bevor es überhaupt Menschen in dieser Galaxie gab.“
Archweyll konnte nicht anders, als Bewunderung dafür zu hegen. Sein Blick studierte das makellose Gesicht des Dunklen Engels, das eine schneeweiße Blässe aufwies. Das Wesen war gute drei Meter groß und kräftig gebaut. Aschgraue Flügel hingen leblos, von seinem Rücken ausgehend, zu Boden, wie eine Pflanze, die man zu lange nicht mehr gegossen hatte.
„Wie bist du an den Leichnam gelangt?“, fragte Archweyll energisch. Das etwas auf dem Schiff ohne sein Wissen geschah, machte ihn zornig.
„Ich habe meine Quellen. Und du kannst froh sein, dass ich Informationen über den Dunklen Engel einbringen konnte, denn möglicherweise werden uns bald welche begegnen.“ Der Chefmechaniker lächelte verschlagen. „Angesichts unserer Lage.“
„Mit was haben wir es zu tun?“, wollte der Kommandant wissen. Bevor er eingriff, wollte er zunächst alle Details erfahren. „
Sie sind Hybridwesen. Ihr Körper besteht aus Organen und Muskelmasse, aber sie besitzen ein fast unzerstörbares Exoskelet und hochentwickelte technische Nervenfasern. Ihre Reflexe müssen die unseren bei weitem übertreffen“, Howard schien sich nicht aus seiner faszinierten Ektase lösen zu können.
Langsam wurde Archweyll ungeduldig. Er griff sich seinen Chefmechaniker und schüttelte ihn kräftig. „Ist dir vielleicht mal aufgefallen, dass unsere Antriebe defekt sind? Seit dreizehn Tagen?“, herrschte er ihn an. „Und du hockst hier unten und es ist dir scheißegal? Die Techniki versagen auf ganzer Linie und es ist deine Aufgabe, dich um ihren Erfolg zu kümmern.“ Howard stieß einen kehligen Laut aus, den man wohl als Lachen verstehen konnte. „Dreizehn Tage und unser Kommandant traut sich erst jetzt zu mir herunter. Wahrlich, ich muss ein furchtbarer Gesprächspartner sein.“ Er verschlüsselte das Tablet und deutete Archweyll an ihm zu folgen.
Sie machten Halt vor der Sternenkarte. Die spiralenförmige Galaxie drehte sich im Uhrzeigersinn langsam um die eigene Achse. Ein roter Punkt kennzeichnete die Lage ihres Schiffes, inmitten der großen Dunkelheit und schien den Kommandanten wie ein blutunterlaufenes Auge anzustarren. „Wie du erkennen kannst, hat unser Schiff die planetare Konfiguration unserer Galaxie bereits verlassen und driftet nun durch die Leere. Das ist unsere Bezeichnung für den Raum zwischen den einzelnen Spiralen unserer Galaxie“, fing Howard an zu erklären. Er deutete auf den roten Punkt, der sich bereits von der bekannten Fläche des Systems entfernt hatte und mitten im schwarzen Nichts lag.
„Erzähl mir lieber warum wir keine Schubkraft mehr haben“, langsam ging der Chefmechaniker Archweyll gehörig auf die Nerven.
„Ich weiß, dass es kein technischer Defekt ist“, raunte Howard bedächtig. „Vielmehr eine molekulare Verzerrung, die verhindert, dass das Plutonium in unseren Reaktoren sich spaltet und Energie austritt“, er deutete auf eine Anzeige. „Seit dreizehn Tagen hat sich der Zustand in unseren Reaktoren nicht verändert. Aber die Frage ist warum?“
„Ich dachte diese Frage könntest du mir vielleicht beantworten?“, erwiderte der Kommandant. Er hatte langsam das Gefühl sich im Kreis zu drehen. „Ich bin mir nicht sicher“, antwortete Howard und wieder legte sein Gesichtsausdruck diese unheimliche Faszination an den Tag. „Möglicherweise möchte uns etwas zu sich rufen. Unsere Patrouille war wirklich weit außerhalb der gesicherten Zone unterwegs.“
„Aber unser Radar liefert keine Ergebnisse“, erwiderte Archweyll forsch. „Wir hätten doch schon längst auf etwas stoßen müssen.“
„Vielleicht werden wir das“, erwiderte der Chefmechaniker und seine Augen weiteten sich manisch. „Aber erst, wenn es gefunden werden will.“

3 Replies to “Voidcall: Das Rufen der Leere – Kapitel 2: Der wahnsinnige Techniker”

  1. Da ich die Donnerstage ja eh geblockt habe, denke ich dass das drin ist. Hab ja genug Kapitel 😀
    Wollte eigl auf 14 Tage Basis – und hab dann direkt vercheckt, dass ich ja eigl noch 7 Tage gehabt hätte! 😀

    Naja, wenn ich die Donnerstage eh unplanbar blockiere kann ich genausogut auch jeden Do posten… 🙂

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.