Gottes Hammer I

„Wir sind da!“, rief Teshin gut gelaunt. Saskia konnte nur nicken. Unter ihnen erstreckten sich die verwinkelten Gassen der Handelsstadt Aminas. Menschen tummelten sich wie Ameisen darin, die Straßen wirkten regelrecht verstopft. Saskia verdrehte die Augen. Zum Bürgermeister zu gelangen würde nicht einfach werden.

Teshin ließ sich davon nicht beirren. Vor sich hin pfeifend lenkte er seinen Esel den Hang hinab zum Tor. Saskia folgte ihm widerstrebend. Als reisende Söldner konnten sie auf Reittiere nicht verzichten. Gerne hätte sie ein Pferd gekauft, doch ihre Mittel reichten lediglich für zwei Maulesel.

Sie mussten einen seltsamen Anblick für die Torwächter bieten. Ein breit lächelnder Mann in einer Tunika und mit einem Breitschwert, sowie eine von Kopf bis Fuß in gehärtetes Leder gekleidete Frau, beide auf dem Rücken von Eseln. Der Soldat empfing sie mit hochgezogener Braue, verkniff sich aber einen Kommentar.

„Reisende?“, fragte er nur.

„Söldner.“, erwiderte Teshin vergnügt. „Wir hörten, ihr habt ein Problem.“

Der Wächter spuckte aus. „Und Ihr wollt diesen Auftrag alleine annehmen, mein Freund?“

„Wer sagt denn so was? Ich habe immer noch meine Partnerin.“ Teshin wies auf sie.

Die Augenbrauen des Wächters zogen sich zusammen. „Das ist eine Frau.“

„Herzlichen Glückwunsch zu Eurer Beobachtungsgabe.“, erwiderte Teshin. „Dürfen wir hinein?“

Der Soldat murmelte etwas Unverständliches, winkte sie aber durch. Saskia betrachtete ihn erstaunt. Die Sicherheitsvorschriften sahen üblicherweise vor, dass Fremde bei ihrer ersten Ankunft in der Stadt durchsucht werden sollten.

Teshin erriet ihre Gedanken, während sie durch das große Tor trabten. „Man möchte meinen, nach fünfzig Jahren Krieg wären sie schlauer geworden.“ Er seufzte theatralisch. „Zu viel schlechtes Personal heutzutage.“

Saskia schluckte, während ihr Partner einen ausschweifenden Monolog führte. Ein prägnantes Gefühl des Unwohlseins erfasste ihre Glieder. Als sie vor einigen Jahren Aminas verlassen hatte, waren die Umstände keinesfalls erheiternd gewesen. Sie hoffte inständig, dass sich niemand an sie erinnern würde.

Auf den schlammigen Straßen türmten sich Schmutz und Abfall. Saskia beobachtete eine Frau dabei, wie sie einen großen Nachttopf ausleerte. Sein Inhalt verfehlte Teshin nur um Haaresbreite. Einige Männer zogen einen großen Karren, ihnen folgten zwei Kleriker. Saskia erschauderte. Deren weiße Roben erinnerten sie an die Tracht der Inquisitoren, unter denen sie während des Krieges gedient hatte. Sie warf einen schnellen Blick auf Teshin. Er ließ nicht erkennen, wie er zu den Lehren der Heiligen Denomination stand. Sie würde ihm nichts von ihrer Skepsis berichten.

Artig reihten sie sich in die wogende Menge aus Menschen ein. Als sie einen weitläufigen Marktplatz betraten, erfüllte lautes Geschrei die übelriechende Luft. Händler boten ihre Waren feil und präsentierten sie den anwesenden Bewohnern. Ein Fischverkäufer reckte sich und hielt Saskia eines seiner Produkte unter die Nase. „Was sagen Sie, meine Dame? Erstklassige Qualität zu einem guten Preis!“

Saskia merkte sich sein Gesicht. Im Strom der Massen wollte sie nicht anhalten. Wenn der Fisch tatsächlich billig angeboten wurde, könnte dies zumindest ihre finanziellen Sorgen vorzeitig mindern.

Das Rathaus fanden sie nur durch einen mehr oder weniger glücklichen Zufall. Zwei Kerkerknechte zogen eine schreiende Frau durch die Menge, die sich nur widerwillig teilte. Teshin und Saskia folgten ihnen, bis sie das Gefängnis erreichten. Daneben erhob sich das Rathaus.

„Ein schöner Bau!“, rief Teshin, während die Frau ihre Häscher verfluchte. Die beiden Knechte bugsierten sie unsanft durch die offene Tür in das düstere Gebäude daneben. Saskia blickte ihr mitleidig nach. Solche Szenen hatte sie bereits oft beobachtet. Wahrscheinlich war die Frau eine Diebin oder Verleumderin, vielleicht sogar eine Hexe. Saskia betete inständig, dass letzteres nicht zutraf. In solchen Fällen war immer ein Inquisitor zugegen. Diese mächtigen Magier standen im Dienste der Denomination und opferten dem Herrn ihre Stimme und ihre Identität. Dafür erhielten sie mächtige, heilige Fähigkeiten. Saskia wusste dies besser als jeder andere.

„Jetzt sieh mal einer an!“ Teshin pfiff durch die Zähne. „Schau mal, Sas, wer da kommt!“

Saskia begrub ihre Hoffnungen am Grunde ihrer Seele. Eine Garde gerüsteter Ordensritter geleitete einen maskierten Reiter mit Mantel und Mauritiusstab über den öffentlichen Platz. Die Menge teilte sich diesmal eilig. Ihre Furcht konnte Saskia beinahe spüren.

Als das Gefolge an ihnen vorüberzog, trafen sich kurz ihre Blicke. Die lodernden Augen des Inquisitors brannten sich durch die Sehschlitze seiner Maske in ihr Gesicht. Saskia neigte den Kopf, um ihnen zu entgehen. Ihr Herz fühlte sich schwerer an als ein Felsen. Immerhin hatte er sie nicht erkannt. Offenbar waren sie sich zuvor nie begegnet. Dennoch blieb die erwünschte Erleichterung aus.

„Ein Hexenprozess.“ Teshin seufzte. „Nicht schon wieder. Das ist schon der zweite in einem Monat, dem wir beiwohnen dürfen.“ Er strich über seine Wange. „Der ganze Rauch ruiniert noch meine Alabasterhaut.“

Saskia hörte weg. Ihr war nicht nach Lachen zumute.

Dem Sekretär des Bürgermeisters offenbar auch nicht. Er empfing sie mit einem mürrischen Knurren. Als sein Blick auf Saskia fiel, klappte sein Mund auf. Er hatte wohl noch nie eine Frau in Leder und mit einer Axt gesehen. Selbst als Teshin ihm freundlich erklärte, weshalb sie gekommen waren, klärte sich der verwirrte Gesichtsausdruck nicht. Er murmelte lediglich: „Der erlauchte Herr ist ein vielbeschäftigter Mann“ und verschwand eilig durch eine reich verzierte Tür, um sie anzumelden.

Saskia sah aus dem Fenster. Vorsorglich hatten sie ihre Esel vor dem Regierungsgebäude angebunden. Sie hoffte, dass daher niemand sie stehlen würde. Während sie die Straße betrachtete, kam ein Beamter in feinem Anzug vorbei, der sie misstrauisch musterte. Als er Saskias Waffe sah, schnaubte er ungläubig und verließ den Raum auf demselben Weg, auf dem er gekommen war.

„Nette Leute hier.“, kommentierte Teshin.

Der Sekretär kehrte kurze Zeit später zurück und bat sie in ins Büro des Bürgermeisters. Dabei handelte es sich um einen korpulenten Mann, beleibt und bebrillt, der gerade mit unverhohlenem Genuss eine Mahlzeit einnahm. Der volle Teller übertraf gewiss den niedrigen Aktenstapel daneben, den der weise Herr wohl an diesem Tage zu bearbeiten hatte.

„Söldner?“, fragte der Bürgermeister nur.

„Aus Überzeugung.“, erwiderte Teshin und schüttelte dem beleibten Mann lächelnd eine fettige Hand. Saskia knickste, um das Rollenbild nicht vollständig ins Lächerliche zu ziehen.

Ihre guten Absichten wurden nicht gewürdigt. Der Mann, der die Geschicke der Stadt lenkte, wischte sich mit dem Ärmel Soße von seinem Kinn und betrachtete sie mit unverhohlener Feindseligkeit.

„Was ist denn das für ein Mannsweib?“, knurrte er schließlich.

Teshin räusperte sich. „Darf ich vorstellen: Saskia. Eine Vertreterin der Gattung Mensch, besonders weit verbreitet in Gebieten nördlich von …“

Der Bürgermeister unterbrach ihn mit einer forschen Geste. Der spöttische Unterton war ihm gewiss nicht entgangen. „Kann dieses Ding nicht für sich selbst sprechen?“

Saskia verspürte den starken Drang, ihm ihr Können in seiner Gänze vor Augen zu führen. Sie strich über den Schaft ihrer Axt.

Teshin räusperte sich. „Das wird nur schwer möglich sein. Sie ist stumm, müsst Ihr wissen.“

Der Bürgermeister nickte, ohne dass sein Gesichtsausdruck sich aufhellte. „Das ist die beste Art von Frau. Wünschte, dass mein Weib auch so wäre.“

Teshin unterbrach sein Lächeln nicht, doch Saskia sah die Verachtung in seinen Augen. In dieser Situation wäre es ihr an seiner Stelle deutlich schwerer gefallen, höflich zu bleiben.

Als der Bürgermeister nicht weitersprach, räusperte Teshin sich erneut. „Euer Bote erwähnte einen lukrativen Auftrag …“

Der Mann grunzte zustimmend. „Fünfhundert Auris.“

Saskias Herz schlug schneller. Davon könnten sie ein Jahr lang leben!

Teshin wirkte ebenso überrascht. „Worin besteht die Aufgabe?“

„In einer Kirche in der Nähe haust eine Art Dämon.“ Der Bürgermeister steckte sich ein Fleischstück zwischen die Zähne. Die Soße tropfte auf den Teppich zu seinen Füßen. „Der Pöbel ist wütend, weil er wieder Wallfahrten machen will.“ Er grunzte, als ihm ein weiteres Fleischstück aus der Hand glitt und auf seinen Schoß fiel. „Bringt das Ding um und ihr kriegt das Geld.“

Teshin legte verwirrt den Kopf schief. „Wäre das nicht eigentlich Aufgabe der Denomination?“

Der Bürgermeister hatte das flüchtige Stück Fleisch eingefangen und biss herzhaft davon ab. „Scheit wann denken Schöldner?“, fragte er mit vollem Mund.

Teshin verstand die Worte trotz des Schmatzens. „Das ist eine Gabe. Haben nicht viele.“

Das amüsierte den hohen Herrn sosehr, dass ein Sprühregen aus Speichel und Soße auf Saskia niederging. „Ihr bekommt einen Führer.“, versprach er, als er sich wieder beruhigt hatte. „Wenn ihr es schafft, gibt es die Belohnung. Kein Vorschuss. Verstanden?“

Teshin lächelte. „Verstanden.“

Als sie das Rathaus verließen, wurde auf dem Platz gerade ein Ehebrecher ausgepeitscht. Einige Bewohner standen vor der Szenerie und feuerten den vollstreckenden Kerkerknecht voller Enthusiasmus an.

„Ich bin dafür, dass wir uns eine nette Herberge suchen.“, sagte Teshin laut, um die Schreie des Delinquenten zu übertönen. „Dann warten wir hier auf den netten Herrn Führer. Irgendwelche Einwände?“

Saskia schüttelte langsam den Kopf. Sie konnte ihren Blick kaum von der blutigen Peitsche abwenden. Erst als Teshin sie sanft wegführte, kam sie wieder zu Besinnung. Noch nie hatte sie sich sosehr gewünscht, sprechen zu können.

One Reply to “Gottes Hammer I”

  1. Hallo Antares, ein wirklich toller Einstieg in einen bestimmt mitreißenden Roman. Mir haben auf den ersten Blick deine lebendigen Figuren gefallen.
    Du verstehst es die Szene so lebendig zu schreiben. Gottes Hammer werde ich öfters lesen.
    Vielen Dank für den Einblick in die Welt von Teshin und Saskia…

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