Die Zeitreisenden 4

1. Die Ankunft – Teil 4

»Wie meinst du das?«
»In meiner Welt ist im Grunde jede Sekunde des Lebens vorgezeichnet. Bereits vor der Zusammenführung von Eizelle und Samen wird das zukünftige Leben nach den Erfordernissen der Gesellschaft geprägt. Der spätere Mensch wird exakt die Interessen und Talente entwickeln, die von der Gesellschaft benötigt werden. Dadurch sind die Menschen in ihren Tätigkeiten glücklich und werden wertvolle Elemente der Menschheit. Bei euch erscheint es mir eher roh und zufällig. Ist es nicht so?«
Dunn überlegte einen Moment. »Ich würde eher eine Prägung ungeborenen Lebens als unnatürlich oder sogar künstlich empfinden. Menschen sollten einen freien Willen haben und selbst entscheiden können, wie sie leben wollen.«
Sequel blickte ihn aus leuchtenden Augen an. »Wir haben einen freien Willen. Wie kannst du annehmen, wir unterlägen einem äußeren Zwang?«
»Wenn ihr alle für eine Aufgabe vorgesehen seid und man euch bereits vor der Zeugung genetisch darauf programmiert, sehe ich keinen freien Willen. Tut mir leid.«
»Jeder Mensch hat in unserer Gesellschaft das Recht, sich seinen Tätigkeitsbereich selbst auszusuchen. Natürlich wird er dabei seiner Prägung folgen, aber die Entscheidung liegt bei jedem selbst.«
»Du und Brungk habt also ganz allein entschieden, in die Vergangenheit zu reisen. Die Möglichkeit, hier zu scheitern, zu sterben, oder den Rest des Lebens in unserer rohen Zeit zu fristen, hat euch nie zweifeln lassen, ob ihr das Richtige tut?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nicht eine Sekunde. Wir wurden dafür geschaffen. Es war unsere Berufung.«
»Das meine ich doch! Ihr hattet überhaupt keine Wahl. In der Sekunde, als Wissenschaftler beschlossen hatten, Menschen zu schaffen, die in die Vergangenheit reisen sollen, war eure freie Wahl zum Teufel!«
Sequel sah ihn schweigend an. Dunn erwartete eine Antwort, doch sie kam nicht. Sie zog ihre Beine an und schlang ihre Arme darum. Er konnte ihren Gesichtsausdruck nicht deuten. Hatte er sie durch seine Argumente vielleicht verunsichert? Er wusste es nicht. Als die Pause zu lang wurde, schaltete er den Fernseher an und verfolgte eine Nachrichtensendung.
»Vielleicht hast du sogar recht«, sagte sie plötzlich. »Wir haben immer nur für die Reise hierher gelebt. Unsere Aufgabe steckt in uns, treibt uns an. Ich weiß jedoch nicht, was geschieht, wenn es uns gelingt, unsere Mission zu erfüllen. Unser Daseinszweck wäre dann erfüllt, obwohl wir nach unseren Maßstäben noch recht junge Menschen sind. Ich habe mir nie die Frage nach einem Danach gestellt, weißt du?«
»Na, dann denk mal darüber nach. Nach allem, was ihr erzählt habt, wird sich euer Daseinszweck schon sehr bald erfüllen.« Er erhob sich. »Habt ihr Zukunftsmenschen eigentlich keinen Hunger? In meiner Zeit muss man hin und wieder Essen. Hast du Lust, mir in der Küche zu helfen?«
Sequel sah ihn unsicher an. »Wie sollte ich dir helfen? Ich habe noch nie eine Speise selbst hergestellt. Bei uns erledigen das Maschinen. Die Synthetisierer präsentieren uns gleich vollständige Mahlzeiten.«
Dunn lachte leise. »Synthetisierer, hmm? Dann komm mal mit. Ich zeige dir, wie das hier bei uns läuft.«
Er lief voraus und Sequel folgte ihm neugierig. »Ihr bearbeitet also wirklich noch die Rohstoffe selbst? Ist jeder von euch dann eine Art Chemiker?«
Sie betraten die Küche und Dunn deutete mit dem Arm einmal im Kreis. »Sieht das aus wie ein Labor? Eine Küche ist ein Arbeitsraum, in dem man mit Lebensmitteln hantiert. Wenn ich deine Fragen richtig interpretiere, esst ihr überhaupt keine natürlich gewachsenen Dinge mehr. In meiner Zeit ist das anders. Bei uns werden essbare Pflanzen noch richtig angebaut und wachsen im Boden. Fleisch stammt noch von richtigen Tieren, die gezüchtet werden, um uns zu ernähren.«
Sequels Gesicht nahm einen entsetzten Ausdruck an. »Ihr esst Tiere? Ihr tötet Tiere, um sie zu essen? Ich hätte nie vermutet, dass Menschen in früheren Zeitaltern so barbarisch waren. Und wie muss ich mir das vorstellen, dass Pflanzen zum Essen im Boden wachsen? Ist dir nicht bewusst, wie keimverseucht wild wachsende Flora sein kann?«
Dunn lachte laut auf. »Natürlich sind wir Keimen ausgesetzt. Na und? Die meisten töten wir durch Hitze ab und an die Verbleibenden sind wir meist gewöhnt. Und was das Fleisch angeht … Ja, wir Barbaren essen Tiere und auch ihre Produkte. Es gibt zwar auch Menschen, die das nicht tun, aber ich gehöre nicht dazu. Wenn du es nicht kennst, solltest du es zumindest einmal kosten. Du solltest wenigstens wissen, wovor du dich vor Entsetzen schüttelst. Oder kannst du etwa unsere Nahrung überhaupt nicht vertragen?«
Der Gedanke war ihm erst jetzt gekommen. Wenn diese Menschen nur keimfreie Nahrung kannten, wurden sie unter Umständen krank, wenn sie normales Essen zu sich nahmen.
»Euer Essen kann uns nicht schaden«, sagte Sequel. »Wir wurden genetisch so konzipiert, dass wir jede Nahrung vertragen sollten, die man in eurem Zeitalter kennt.«
»Okay. Also: Was hältst du von Bratkartoffeln mit Speck und Eiern? Mehr hab ich zurzeit nicht im Haus.«
»Ich kenne nichts davon. Ich werde mich überraschen lassen müssen.«
Dunn holte eine Tüte mit Kartoffeln hervor und begann, sie mit einem Schäler von der Schale zu befreien. Sequel zierte sich zunächst ein wenig, die schmutzigen Kartoffeln mit den Händen anzufassen, aber Dunn ließ nicht locker, bis auch sie versuchte, die Kartoffeln mit einem zweiten Schäler zu bearbeiten. Sie war recht ungeschickt und langsam, aber es gelang ihr nach kurzer Zeit, sie zu schälen.
»Ich schneide schon mal den Speck«, sagte Dunn. »Du könntest die Kartoffeln halbieren und in kleine Scheiben schneiden. Aber Vorsicht mit deinen Fingern. Das Messer ist sehr scharf.«
Während er den Speck würfelte, warf er immer einen Blick zu Sequel, die konzentriert an ihren Kartoffeln arbeitete. Man merkte ihr an, dass es eine völlig fremde Tätigkeit für sie war. Als alles geschnitten war, warf Dunn den Speck in eine Pfanne und zündete die
Flamme auf dem Herd. Nach kurzer Zeit zog ein köstlicher Geruch nach gebratenem Speck durch die Küche und Sequel schnüffelte ständig mit der Nase.
»Ist das normal, wenn der Speichelfluss im Mund zunimmt?«, fragte sie. »Ich muss ständig schlucken.«
Dunn lachte laut. »Offenbar habt ihr Zukunftsmenschen noch nicht alles verlernt. Ja, es ist normal.«
Er nahm den ausgebratenen Speck aus der Pfanne und gab ihn in eine kleine Schale. Er fügte noch etwas Öl in die Pfanne und gab die Kartoffeln hinein. »Jetzt dauert es noch eine Weile. Man muss nur achtgeben, dass die Kartoffeln nicht am Pfannenboden anbacken. Im Schrank neben dir stehen Teller. Hol schon mal zwei heraus. Besteck findest du in der Schublade unter dem offenen Fach.«
Sequel öffnete den Schrank und bestaunte die Menge an Geschirr, die sauber aufgestapelt darin stand. Sie nahm zwei Teller heraus und holte auch zwei Messer und Gabeln aus der Schublade. »So was kenne ich auch noch aus meiner Zeit, obwohl wir Messer kaum noch verwendet haben.«
Neugierig stellte sie sich hinter Dunn und blickte in die Pfanne, in der er geschickt mit einem Pfannenwender die Kartoffeln wendete. Das laute Bratgeräusch irritierte sie.
»Macht kochen immer solchen Lärm?«
»Lärm? Ich liebe dieses Geräusch beim Braten. Es stört mich auch nicht, dass es über eine halbe Stunde dauert, bis es fertig ist.«
»So lange dauert es, eine Mahlzeit zu bereiten? Bei uns ordert man sein Essen am Display des Synthetisierers und einen Augenblick später steht es dampfend im Ausgabefeld.«
»Bei uns dauert es eben. Manche Gerichte dauern noch viel länger, aber das Ergebnis rechtfertigt es in jedem Fall.«
Sequel blieb hinter ihm stehen und starrte fasziniert auf die Pfanne. Nach und nach trat sie näher an ihn heran und Dunn nahm auf einmal ihren Geruch wahr. Er musste sich krampfhaft auf sein Essen konzentrieren, um sich abzulenken. Er konnte sich nicht erinnern, jemals einer Schönheit wie Sequel so nahe gewesen zu sein. Er wusste genau, dass sie eine Fremde war, eine Frau aus einer fernen Zukunft. Er wusste, dass die körperliche Nähe nichts zu bedeuten hatte und nur ihrer unbefangenen Neugier auf alles geschuldet war, das ihr Informationen aus seiner Zeit bringen konnte. Alles das wusste er genau, aber er konnte trotzdem nicht verhindern, dass er auf sie reagierte.
Mit aller Gewalt brachte er sich auf andere Gedanken und rührte in den Kartoffeln. Als sie fast fertig waren und er den Speck dazugab, fiel ihm ein, etwas vergessen zu haben.
»Zwiebeln! Wie konnte ich die Zwiebeln vergessen?«
Schnell griff er in einen Eimer unter der Spüle und holte zwei Zwiebeln heraus. Geschickt entfernte er die äußere Haut und schnitt sie in Ringe. Als er Sequel ansah, bemerkte er Tränen in ihren Augen. Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, wieso, aber es ist etwas in der Luft, das meine Augen reizt.«
»Es ist die Zwiebel«, sagte Dunn. »Das geht gleich vorbei.« Er gab auch die Zwiebeln in die Pfanne und wendete alles noch einmal. »Gleich ist es so weit.«
Als Letztes schlug er zwei Eier auf und ließ sie über die Kartoffeln laufen.
Wenige Minuten später saßen sie sich am Küchentisch gegenüber und Dunn trug Sequel etwas aus der Pfanne auf. Er schob ihr die Pfeffer- und Salzstreuer herüber.
»Salz und Pfeffer musst du nach eigenem Geschmack verwenden. Nimm nicht zu viel, bis du ein Gefühl dafür bekommst. Würze lieber nach.«
Sequel saß hilflos vor ihrem Teller, der köstlich duftete, und wusste nicht, wie sie beginnen sollte. Dunn nahm die Gabel und zeigte ihr, wie man es aß. »Einfach rein damit! Du kannst nichts falsch machen. Guten Appetit!«
Sie kostete vorsichtig von ihrem Teller und ihre Miene hellte sich zusehends auf. Die zweite Gabel war bereits deutlich voller als die erste. »Das schmeckt hervorragend. Ich hab noch nie einen so intensiven Geschmack erlebt. Schmeckt jedes Essen bei euch so gut?«
»Das hängt natürlich auch davon ab, wie gut jemand kochen kann. Bratkartoffeln sind jetzt nicht unbedingt eine Wissenschaft. Das ist ein recht einfaches Essen.«
»Ich finde es ungeheuer gut«, sagte sie mit vollem Mund.
Dunn beobachtete sie, und empfand eine irrationale Freude darüber, dass es Sequel so gut schmeckte. Als sie fertig waren, holte Dunn noch ein paar Früchte hervor, die sie ebenfalls mit Heißhunger verspeiste. »Und so was wächst bei euch einfach aus dem Boden?«
»Na ja, diese Pflaumen wachsen an Bäumen, aber grundsätzlich sind es einfach Pflanzen, die eigens angebaut werden, um gegessen zu werden.«
Sie schüttelte ungläubig den Kopf. »Allein dafür würde ich auf ewig hier in dieser Zeit bleiben wollen. Das gibt es bei uns in der Zukunft alles nicht.«
Dunn sah sie nachdenklich an. »Ich würde es dir und Brungk wünschen, dass ihr eure Mission erfüllen könnt. Mir im Übrigen auch, denn ein Scheitern würde schließlich bedeuten, dass es all das bald nicht mehr geben würde. Es erscheint mir so verdammt unwirklich, darüber nachzudenken. Gut, es gab Zeiten, in denen wir Menschen einer totalen Auslöschung näher standen als einem stabilen Frieden …«
Sie sah überrascht auf. »Wirklich? Und warum?«
»Menschen waren zu allen Zeiten kriegerisch veranlagt. Nach der Erfindung von Atom- und Wasserstoffbombe gab es eine Phase der militärischen Aufrüstung, und es sah mehr als nur einmal so aus, als würde es einen Verrückten geben, der den globalen Krieg auslösen würde.«
»Globaler Krieg? Auf der Erde? Zwischen den Menschen? Das ist unfassbar!«
»Ist es das wirklich? Kämpft ihr in der Zukunft nicht auch gegen die Skrii? Aggressives Verhalten scheint demnach auch in zwei Millionen Jahren noch immer in den Menschen zu existieren.«
»Aber doch nicht untereinander!«, entgegnete Sequel heftig. »Die Insektoiden wollen uns auslöschen! Das rechtfertigt jede Aggression!«
Dunn hatte keine Lust, dazu eine weitere Diskussion zu entfachen und ließ Sequels Ausbruch unkommentiert. Er wechselte das Thema. »Wie soll es eigentlich weitergehen? Wenn ich mich recht erinnere, wird die Waffe der Skrii in etwa zwei Monaten diese Zeitebene kreuzen. Wir haben also noch eine Menge Zeit, uns in Stellung zu bringen, aber wann wollt ihr im Yellowstone Nationalpark eintreffen? Braucht ihr eine Vorlaufzeit? Einen Mindestzeitraum vor dem Auftauchen der Waffe?«
Sequel überlegte. »Wenn sie auftaucht, wird sie innerhalb von zwei Tagen eurer Zeit weitergezogen sein. Wir sind zwar speziell für diesen Auftrag geschaffen worden, haben allerdings noch nie unter echten Bedingungen unseren Spürsinn prüfen können. Unsere Wissenschaftler meinen, wir würden das fremde Zeitfeld etwa einen Tag vor dem Durchgang spüren und lokalisieren können. Es darf dabei allerdings nicht mehr, als 100 Bymen … entschuldige, das sind etwa 150 eurer Meilen … entfernt sein.«
»Gut, dann schlage ich vor, ihr lebt euch erst mal etwas in unserer Zeit ein und einige Tage vor dem Ereignis fahre ich mit euch zum Park. Unter Umständen könnt ihr Hilfe von jemandem gebrauchen, der hier aufgewachsen ist.«
Sequel lächelte ihn an. »Ich hatte gehofft, dass du so denkst. Ich gestehe, dass ich befürchtet hatte, du und Cole würdet uns einfach nur für verrückt halten. Wir hatten bereits überlegt, eine ungezielte Ortsversetzung durchzuführen, aber ich war sicher, dass uns das nicht weitergebracht hätte. Schließlich hatten wir noch immer keine geeignete Kleidung, und erst recht keine Mittel, um weiterzukommen. Ich konnte Brungk überzeugen, zu warten. Ich bin froh, dass du uns jetzt glaubst. Kannst du mir erklären, was den Ausschlag gab, uns zu vertrauen?«
Dunn trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte und überlegte. Die Frage war berechtigt. Vermutlich war es seine ›Entführung‹, der Aufenthalt im psychischen Konstrukt dieses seltsamen Paares, der ihn schließlich überzeugt hatte. Solche Fähigkeiten kamen bei normalen Menschen einfach nicht vor.
»Es war unser Gespräch in eurem virtuellen Raum, denke ich.«
Sie nickte. »Das hab ich vermutet. Du weißt, worauf du dich einlässt, wenn du uns hilfst?«
Dunn schüttelte den Kopf.
»Und warum tust du es dann? Bist du immer so leichtsinnig?«
»Ich weiß es selbst nicht. Aber erkläre mir doch einfach, was geschehen kann.«
Sequel schmunzelte. »Doch, du weißt es. Du willst dir nur nicht eingestehen, dass ich der Grund sein könnte. Ich habe deine Blicke bemerkt. Das sollte für dich nicht der Grund sein, Wayne Dunn. Uns trennen Millionen Jahre Entwicklung und kulturelle Änderungen. Die Waffe der Skrii wird groß sein – wie eines eurer Häuser. Sie wird von einer künstlichen Intelligenz gesteuert werden, die nach den Wertvorstellungen der Skrii programmiert ist. Die Waffe ist darauf ausgelegt, sich gegen äußere Zugriffe zu verteidigen. Was immer wir tun, um sie unschädlich zu machen, wird von der KI als Bedrohung eingestuft und einen Verteidigungsmodus auslösen. Wir kämpfen seit Langem gegen diese Wesen und wissen daher, dass sie über mächtige Zerstörungswaffen verfügen. Unsere Mission ist vielleicht schon jetzt gescheitert, nur, dass wir es noch nicht wissen. Wir könnten alle sterben. Ist dir das klar?«
Dunn überlegte wieder. »Du hast vermutlich recht. Ich weiß selbst, dass es Schwachsinn ist, dich als normale Frau meiner Welt anzusehen. Hinzu kommt deine – für mich – unverständliche Beziehung zu Brungk, mit dem du dich in besonderer Weise mental verbinden kannst. Soweit der Verstand. Es steht nur nirgends geschrieben, dass Menschen immer nur vernünftig sind. Ist das bei euch anders?«
»Nein, auch wir sind nicht immer vernünftig – meistens aber schon. Unsere Gesellschaft basiert generell auf vernünftigem und logischem Verhalten.«
Dunn nickte. »Das dachte ich mir schon. Aber dein Argument, ich solle mich für dich nicht in Gefahr begeben, ist nicht unbedingt logisch, denn entweder wir gehen beim Versuch drauf, diese Waffe zu entschärfen, oder wir werden durch die Waffe selbst alle ausgelöscht. Was macht den Unterschied? Nur, wenn wir es überhaupt wagen, gibt es eine Chance auf Erfolg.«
»Stimmt«, sagte Sequel nachdenklich. »Das hatte ich nicht bedacht.«
»Sollten wir aber das Glück haben, und unsere Mission hat Erfolg, wirst du dich geistig davon lösen müssen, ein Mensch aus der Zukunft zu sein. Dann musst du dich in eine von uns verwandeln, oder du wirst in deinem Leben nie glücklich werden können.«
»Was meinst du mit glücklich?«
»Du kennst den Begriff Glück überhaupt nicht?«, fragte Dunn fassungslos. »Was ist mit Freude am Leben? Emotionalem oder körperlichem Hochgefühl?«
»Ich glaube, ich kann dir nicht folgen.«
Dunn betrachtete forschend die schöne Fremde. »Manchmal denke ich, dass euch in den Zeitaltern etwas verloren gegangen ist. Wenn wir Erfolg haben, werden du und Brungk eine Menge zu lernen haben. Was verbindet euch wirklich?«
»Brungk ist mein funktionaler Partner. Wir sind zwei Module, die zusammen funktionieren. Wir müssen uns geistig verschmelzen, um unser Potenzial ausschöpfen zu können. Du wirst es erleben, wenn wir gegen die Skrii-Waffe kämpfen werden. Dann wird sich zeigen, ob unsere Wissenschaftler uns richtig konfiguriert haben.«
»Wenn ihr so oft miteinander verschmelzt … Was löst es emotional in euch aus? Was empfindet ihr dabei?«
Sequel lächelte nachsichtig. »Das scheint dir ungemein wichtig zu sein. Ich bezweifle, dass du es verstehst. Wir sind die Mission. Nur gemeinsam ist es uns möglich, sie zum Erfolg zu bringen. Wir fühlen uns erst in der Verbindung vollständig … Ich weiß nicht, ob das korrekt ausgedrückt ist. Nur in der Verbindung gibt es überhaupt erst die Mission. Getrennt sind wir nur Menschen ohne besonderen Daseinszweck.«
»Entschuldige, aber das ist für mich eine grauenhafte Vorstellung. Eure Prägung hindert euch doch an allem, was das Menschsein ausmacht. Ihr empfindet demnach füreinander überhaupt nichts.«
»Hast du geglaubt, Brungk und ich hätten reproduktive Ambitionen?« Sie lachte hell auf. »Das ist absurd und durch unsere genetische Konditionierung auch überhaupt nicht möglich.«
Dunns Fassungslosigkeit wurde immer größer. Eigentlich hätte er das Gespräch hier gern abgebrochen, doch die Neugier und auch die auffällige Sachlichkeit Sequels trieben ihn dazu, weitere Fragen zu stellen. Er wollte einfach verstehen, mit wem er es zu tun hatte.
»Was meinst du damit? Wurdet ihr so geschaffen, dass euch Geschlechtlichkeit nichts bedeutet? Oder seid ihr überhaupt nicht in der Lage, euch zu ›reproduzieren‹, wie du es nennst?«
»Wir sind voll funktionsfähige Menschen der Typen A und B. Natürlich sind wir auch reproduktionsfähig, aber Brungk und ich sind diesbezüglich in jeder Hinsicht inkompatibel. Sind deine Fragen damit hinreichend beantwortet?«
Dunn verzog das Gesicht. »Vermutlich nicht, aber wir sollten weitere Fragen vertagen. Es ist spät geworden und ich brauche eine Mütze Schlaf. Wirst du überhaupt nicht müde? Brungk liegt schon seit Langem im Bett.«
»Ich brauche nicht so viel Schlaf, aber du hast recht. Ein paar Stunden könnten nicht schaden. Aber ich hab auch noch eine Frage.«
Dunn sah sie erwartungsvoll an.
»Wenn wir eine Weile hier bei dir wohnen … Wird dann niemand Fragen stellen, wer wir sind? Cole weiß natürlich Bescheid, aber was ist mit anderen Menschen dieses Ortes?«
»Offiziell werde ich euch als Cousin und Cousine von der Westküste vorstellen. Ihr seid eine Weile hier bei mir zu Besuch. Von der Familie meines Vaters, die von der Westküste stammt, wissen die Wenigsten hier etwas. Man wird es euch abnehmen.« Sequel nickte, aber er konnte sehen, dass sie noch nicht zufrieden war. »Was sind ein Cousin und eine Cousine?«
»So nennt man die Beziehung der Kinder von Geschwistern untereinander.«
Sie winkte ab. »Heute Abend wird mir das alles zu kompliziert. Vermutlich bin ich tatsächlich müder als ich dachte. Ich werde mich auch ins Bett legen.«
Ohne ein weiteres Wort wandte sie sich um und stieg die Treppe hinauf, die zu den Schlafräumen führte. Dunn blickte ihr hinterher und fragte sich, was er eigentlich erwartete. Er musste sich eingestehen, dass ihn diese Frau faszinierte. Sie sah toll aus, aber das war es nicht allein. Sie war hochintelligent, entstammte jedoch einer Kultur, die so fremdartig war, dass er sich ihr gegenüber vorkam wie ein Dinosaurier. Und genau genommen lagen zwischen ihnen so viele Jahre, dass dieser Vergleich durchaus angemessen war. Einige Minuten grübelte er und dann entstanden weitere Fragen in seinem Kopf. Brungk und Sequel sahen aus wie Menschen des 21. Jahrhunderts. Okay, sie sahen beide extrem gut aus, aber letztlich wirkten sie wie normale Menschen. Sollte sich der Mensch in zwei Millionen Jahren nicht weiterentwickelt haben? Was war mit Evolution? Offenbar hatten die Menschen die Erde verlassen oder zumindest andere Welten besiedelt. Müssten sie sich nicht ihrer neuen Umgebung angepasst haben? Würde sich das nicht auf das Aussehen auswirken müssen? Er hatte sich schon mit dem Gedanken angefreundet, Besuch aus der Zukunft bei sich aufgenommen zu haben, aber jetzt kamen ihm erneut Zweifel. Er beschloss, die beiden und ihr Verhalten in der nächsten Zeit sehr genau zu beobachten.


Hiermit endet Kapitel 1 meines Kurzromans. Aber keine Angst, er wird fortgesetzt … und das schon am 6. Oktober mit Kapitel 2 – Yellowstone


Kleine Vorschau:
Die Vorbereitungen gehen voran und die kleine Gruppe der Weltenretter richtet sich darauf ein, den mächtigen Gegner im Yellowstone-Park zu treffen. Auf dem Weg dahin erlebt Sheriff Dunn ein Wunder nach dem anderen und er erlebt, wie weit die Menschheit in der Zukunft den heutigen Menschen auf der Erde technisch überlegen ist. Doch wird das reichen, die Aufgabe zu erfüllen und schließlich die Menschheit zu retten?

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