Voidcall: Das Rufen der Leere – Kapitel 1: Verloren


Die Atharymn glitt geräuschlos durch den leeren Raum. Tausende blinkende Augen und blutunterlaufene planetare Abstraktionen erhellten ihren Weg durch den Warp und verspotteten sie, aufgrund ihrer Nichtigkeit. Seit nunmehr dreizehn Tagen lagen die interstellaren Triebwerke des Patrouillenkreuzers brach. Ihr säuselndes Dröhnen, das Flottenkommandant Archweyll Dorne sonst so liebevoll in den Schlaf gewogen hatte, war verklungen und einer unheilvollen Stille gewichen, die ihn kein Auge mehr zumachen ließ. Hier draußen im Warp waren sie alleine. Niemand hatte auf ihre Funkanfragen reagiert.
Archweyll wunderte das nicht. Sein Kreuzer war für die galaktische Föderation genauso entbehrlich wie der Dreck unter seinen Stiefeln und wie eben jener Dreck wurde er mit einer halbherzigen Bewegung ins Vergessen gekratzt. Die Stille, die das Raumschiff überkommen hatte, ging der Besatzung an die Substanz. Noch wurde auf der Kommandobrücke Geschäftstätigkeit vorgeheuchelt, doch hinter vorgehaltener Hand sprach man von dem Versagen der Techniki in den essentiellen Maschinenräumen. Mittlerweile war ihre Aussicht auf Rettung ebenso verschwindend gering wie das Interesse der galaktischen Gesellschaft an ihrer Routinemission.
Auf der Kommandobrücke herrschte reges Treiben. In sterile weiße Panzer gehüllte Navigatoren versuchten verzweifelt herauszufinden, warum sie von ihrem Kurs abgewichen waren und auf den Rand der bekannten Welt zusteuerten. Ratternde Servogetriebe versorgten ihre Datenbanken notdürftig mit der benötigten Leistung. Seit der Hauptantrieb, der gleichzeitig auch die Kernenergiequelle der Atharymn darstellte, ausgefallen war, saßen sie im Dunkeln. Die meisten der einst so farbenfrohen Kontrollleuchten waren erloschen. Die flackernde Notbeleuchtung tauchte sie alle in ein milchiges Licht, das die Menschen an Deck wie verrottende Leichname aussehen ließ.
Archwell schauderte bei dem Gedanken daran, dass sie vielleicht bald auch genau das sein würden. Das Rauschen der schiffsinternen Kommunikationsanlage riss den Kommandanten aus seinen düsteren Gedanken.
„Technikstation B14 hat alle Scans In Maschinenraum 2 sauber abgeschlossen“, knisterte es aus dem Mikrofon, das an seiner Brust klemmte. Die mechanische Stimme der Techniki war ebenso wenig liebevoll, wie menschlich.
„Hinweise für das Dahinscheiden unserer geliebten Lebensader? Oder seid ihr immer noch damit beschäftigt das Maschinenöl von den Antrieben zu lecken?“, fragte Archweyll sarkastisch. Er liebte es, die Techniki zu beleidigen. Maschinen verstanden einfach keinen Humor.
„Negativ. Kein Hinweis über den Antriebsausfall“, der Roboter überging seine Provokation einfach. Was für eine Frechheit.
„Wir haben nur zwei wichtige Maschinenräume“, wetterte Archweyll erzürnt. „Soll das heißen ihr habt schon wieder nichts gefunden? Wofür bezahle ich euch eigentlich?“
„Ihr bezahlt uns nicht. Wir dienen mit Freuden“, entgegnete die Stimme aus dem Mikrofon trocken.
Der Kommandant verdrehte die Augen. Für einen kleinen Schlagabtausch würde er sich jemand anderen suchen müssen. Und mittlerweile lagen seine Nerven so blank, dass er sich nichts sehnlicher wünschte, als jemanden für seine Unfähigkeit zurechtzustutzen. Vielleicht sollte er mit den Programmierern der Technikstation B14 anfangen? Dann fasste er sich wieder und überlegte fieberhaft. Wie konnte es sein, dass die Antriebe einfach ausfielen, ohne jeglichen Hinweis auf einen technischen Defekt? Das war rätselhafter als die abstrusen Belange seiner Ehefrau.
Archweyll blickte sich um.
Sämtliche Blicke auf der Kommandobrücke waren auf ihn gerichtet. Jedes Besatzungsmitglied hoffte auf positive Nachrichten.
Auch heute würde er sie vertrösten müssen und er hasste sich dafür. Der Kommandant fuhr mit der Hand über seine Glatze und wanderte mit seinen Fingern grübeln durch den imposanten Schnauzer, der seine Oberlippe zierte. Er war ein Bär von einem Mann und hatte seit dem Beginn seiner Dienstzeit nichts von seiner genetisch optimierten Körperkraft eingebüßt. Noch wagte es niemand seine unangefochtene Autorität anzuzweifeln. Er räusperte sich widerwillig und teilte der Mannschaft die aktuelle Lage mit.
Seine Nachrichten wurden mit Totenstille entgegengenommen. Schweigend wandten die Leute sich von ihm ab und widmeten sich halbherzig ihrer Arbeit.
Sogar Clynnt Volker, sein Chefnavigator, blickte ihn mit einer endlosen Müdigkeit an. Wie Archweyll selbst hatte er seit Tagen nicht geschlafen und das sah man ihm an. Dicke Ringe zierten seine Augen um die scharfe Hakennase herum, als hätten sie eine Ehe geschlossen. Sein graues Haupthaar war zu einem undefinierbaren Geschwür herangewachsen und tiefe Sorgenfalten durchzogen sein Gesicht als wäre es eine Landkarte.
Als würden ihn seine Verpflichtungen als Kommandant dazu zwingen, schritt Archweyll auf ihn zu. „Haben wir wenigstens irgendetwas auf den Monitoren?“, bemühte er sich um ein Gespräch.
Der Chefnavigator schüttelte den Kopf. „Sogar Taurenscheiße weist mehr Inhalt auf als unser Radar. Mit Verlaub“, sagte er spitz.
Dafür liebte Archweyll ihn. Clynnts Zunge war genauso scharf wie sein Verstand und über all die Jahre an Bord der Atharymn war er zu einem treuen Gefolgsmann geworden. Der Kommandant lies es zu, dass ein Seufzer seinen Lippen entwich. Seit dreizehn Tagen schwebten sie im Nichts. Eine unheilverkündende Zahl.
Als wolle eine schicksalhafte Begebenheit ihre Situation noch weiter ins Dunkel stürzen, blinkte plötzlich die Leistungsleuchte rot auf.
„Die Notstromversorgung verabschiedet sich von uns!“, fluchte Clynnt lautstark und schlug mit der Faust gegen die Titanverkleidung der Innenbordwand. „Wenn die ausfällt sind wir taub, blind und vor allem geliefert. Das darf nicht passieren. Die Mannschaft steht kurz vor einem Ausfall und wenn ich so darüber nachdenke, kann ich es ihnen nicht einmal übel nehmen.“ Er griff Archweyll an die Schulter. „Wir müssen endlich eine Lösung finden.“
Der Kommandant blickte ihn ungläubig an. „Wirklich?“, fragte er gespielt erstaunt, doch dann beließ er es dabei. Er wollte nicht noch mehr unnötigen Stress hervorrufen und Clynnt hatte seinen Groll wahrlich nicht verdient. Er wandte sich zum Gehen. „Ich werde dann wohl mal den Chefmechaniker aufsuchen müssen“, seufzte er abermals. Howard Bering war ihm zuwider. Zwar war er brillant, aber auch unberechenbar und jeder Funke Weisheit besaß ein gewisses Potential von Wahnsinn. Archweyll setzte lieber auf Leute, denen er vertrauen konnte.
„Wir verlassen nun den uns bekannten Sektor“, krächzte eine Stimme, unweit vom Kommandanten entfernt, welcher sich gerade seinem Schicksal ergeben und auf den Weg zu den tieferen Docks des Kreuzers gemacht hatte. Archweyll drehte sich um.
Das Gesicht des Navigators war genauso weiß wie sein steriler Anzug und er glich eher einer Wachsfigur als einem Menschen. Das waren keine guten Nachrichten. Außerhalb des Einflussbereichs der Föderation war es gefährlich. Die Weiten des Warps beheimateten weit gefährlichere Bewohner, als die Piraten, mit denen sie öfters zu tun hatten. Hier hausten Dämonen, Dunkle Engel oder die Hände der Herrlichkeit. Kontakt zu diesen Wesen wollte Archweyll um jeden Preis vermeiden.
Er blickte finster in die Runde. „Dann haltet von nun an die Augen offen. Ihr alle!“, knurrte er düster. „Denn ab jetzt steht unser Leben auf Messers Schneide.“

4 Replies to “Voidcall: Das Rufen der Leere – Kapitel 1: Verloren”

  1. Sehr spannend! Ich mag deine Beschreibungen – nicht zuviel, nicht zuwenig, und anschaulich. 🙂 Ich lese fleißig mit und bin schon gespannt auf das nächste Kapitel!

    1. Da MUSS ein nächstes Kapitel kommen. Sehr anschaulich und bebildert beschrieben. Das hat schon die beklemmente Stimmung eines U-Bootes an sich. Brrrr kalter Schauer. Hoffentlich geht’s für die Jungs weiter….

      1. Hi Andi,

        das U-Boot kommt doch erst in Voidcall 2 O_O
        Neue Kapitel ab jetzt jeden 2 Donnerstag, die Geschichte ist ja schon abgeschlossen.
        Und vielen Dank für dein Lob! Freu mich, dass ich dich mit auf die dunkle Reise der Atharymn nehmen darf! 🙂

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