Lieblingssohn

»Komm, Schatz, iss noch etwas!«, Svenja schöpfte ihren Sohn noch eine Kelle Suppe auf den Teller. Dabei dachte sie: »Ich hätte etwas Besseres kochen sollen. Er ist so schrecklich dünn.« Dabei strich sie ihm liebevoll über den Arm.
»Ich bin so froh, dass du da bist.«
»Svenja, setz dich wieder hin. Eric ist alt genug, er kann sich selbst was zu Essen nehmen!«, erklang die genervte Stimme ihres Mannes. Svenja setzte sich zurück auf ihren Stuhl und warf Peter einen wütenden Blick zu.
»Schatz«, sprach sie ihren Sohn an, der unbeeindruckt von seiner Umgebung mit einer Hand am Handy herum spielte und mit der anderen die Suppe in sich hinein schaufelte. »Wir haben mit unseren Partnern gesprochen. Du kannst am Montag bei uns in der Kanzlei anfangen. So eine Art Praktikum, bezahlt natürlich.« Svenja lächelte ihren Sohn hoffnungsvoll an. »Wenn du dann im nächsten Jahr an die Uni gehst, hast du schon ein paar Vorkenntnisse. Ist das nicht wundervoll?«
Svenjas Stimme drohte vor Begeisterung zu kippen, vor ihren Augen konnte sie es förmlich sehen, ihr gut aussehender Sohn, der erfolgreiche Anwalt. Die Welt und vor allem die Frauen würden ihm zu Füßen liegen.
»Montag geht nicht«, nuschelte Eric, stand auf und verstaute sein Handy in der Hosentasche. Im Gehen sagte er: »Ich fahr Montag mit ein paar Kumpels nach Berlin. Da brauch ich noch ein bisschen Kohle.«
Polternd stürzte der Stuhl von Peter um, als dieser aufsprang und seinem Sohn hinterher brüllte: »Eric, komm sofort wieder zurück. Wir reden mit dir!«
Lässig lehnte sich Eric in den Türrahmen. »Ich hab keinen Bock auf so einen langweiligen Scheiß. Ich will etwas erleben und mich nicht zu Tode schuften.«
Svenja spürte, dass der brüchige Familienfrieden mal wieder kurz vor dem Zerbersten war. Beschwichtigend legte sie ihren Mann eine Hand auf die Schulter.
»Ein Jahr war ausgemacht, ein Jahr, in dem du machen konntest, was du wolltest!« Peters Stimme nahm einen gefährlichen Unterton an. »Wann war es vorbei, vor drei, vier Monaten? Wenn du weiter finanzielle Unterstützung von uns erwartest, wirst du etwas dafür tun müssen. Ansonsten dreh ich dir den Geldhahn zu. Dann kannst du zusehen, wie du deine Klamotten und den ganzen anderen Mist bezahlst. Wie rennst du eigentlich schon wieder rum? Hast du nichts Anständiges anzuziehen?«
»Ich kann ja mal in der Kanzlei vorbei kommen.« Erics Stimme klang nicht gerade überzeugend. »Aber diesen Montag nicht. Mum, ich nehm dein Auto.« Mit diesen Worten fiel die Tür hinter Eric zu.
»Weißt du Peter, das mit Berlin ist vielleicht gar keine so schlechte Idee«, versuchte Svenja die Situation zu retten. »Er braucht eh ein paar Anzüge, wenn er in der Kanzlei mitarbeitet. Ich geb ihn Geld mit, da kann er sich neu einkleiden.«
»Verdammt Svenja, wann begreifst du es endlich. Er wird das Geld verjubeln. Er ist ein Nichtsnutz, dein Sohn.«
Peter stampfte die Treppe hinauf. »Wag es ja nicht, ihn wieder meine Kreditkarte mitzugeben. Ich arbeite doch nicht nur, damit unser Herr Sohn unser gesamtes Geld verprasst.« Dann hörte Svenja die Bürotür scheppernd ins Schloss fallen.


Ein Klopfen riss Svenja aus ihren Gedanken. Isabel ihre Partnerin in der Kanzlei, kam zur Tür herein. Sie waren gute Freundinnen, kannten sich schon seit ihrer Studienzeit. Doch in den vier Wochen, seitdem Eric mit in der Kanzlei arbeitete, wurde ihre Freundschaft fast täglich auf eine harte Probe gestellt.
»Svenja, wir müssen reden.«
Nicht schon wieder, dachte Svenja und suchte nach einem Grund, um dieses Gespräch zu verhindern. Da hatte Isabel schon vor ihrem Schreibtisch Platz genommen.
»Was hat er schon wieder angestellt?«, fragte Svenja resigniert. Ständig beschwerten sich die anderen Mitarbeiter der Kanzlei über Eric. Na gut, mit dem Aufstehen hatte er es nicht so. Deshalb kam sie jetzt immer später zur Arbeit, damit sie ihren Sohn mit dem Auto mitnehmen konnte. Denn sonst war es passiert, dass er erst gegen Mittag oder gar nicht aufgetaucht war. Aber er war doch noch so jung, gerade mal 20, die anderen hatten überhaupt kein Verständnis. Und woher sollte er denn das alles wissen, was sie von ihm verlangten. Sie waren einfach nur ungerecht.
»Hast du gesehen, wie dein Sohn heute aussieht?«, fragte Isabel. »Hast du nicht letzte Woche erzählt, dass du ihm Geld für einen Anzug gegeben hast?«
Svenja zuckte zusammen. Weder mit dem Geld von letzter Woche, noch mit dem aus der Woche davor, hatte er sich etwas Vernünftiges zu Anziehen gekauft. Auch nicht in Berlin. Fragte sie ihn, was mit dem Geld passiert war, zuckte er nur mit den Schultern und sagte: »Weg.«
»Wie immer. Warum?«
»Du weißt, ich bin nicht spießig und ich habe ganz bestimmt nichts gegen Jeans und T-Shirt. Aber Eric sieht aus, als wenn er seine Sachen vom Müll hat. Heute hatte der Chef der Brauerei seinen Termin bei mir. Der hat Eric in der Küche Kaffee trinken sehen. Der dachte, wir verköstigen hier einen Obdachlosen. Svenja, so geht das nicht weiter.« Isabel redete sich immer mehr in Rage. Svenja wollte sie stoppen, denn sie wollte es nicht hören, konnte die ewigen Vorwürfe nicht mehr ertragen, nicht von Isabel oder ihrem Mann oder sonst wem.
»Du musst endlich aufwachen, dein Sohn ist nicht nur faul und verantwortungslos. Er hat auch ein Alkoholproblem, wenn nicht sogar ein Drogenproblem.«
Svenja versuchte sie zu unterbrechen, doch Isabel redete einfach weiter. »Gestern sollte er eine Akte zu Martin bringen. Dort ist sie nie angekommen. Wir haben sie dann unten im Café gefunden, wo Eric sie liegenlassen hat. Nachdem er sich keine Ahnung wie viele Drinks genehmigt hat und einfach verschwunden ist, ohne zu bezahlen. Du kannst froh sein, dass der Wirt uns so gut kennt. Sonst hätte dein feiner Sohn jetzt eine Anzeige wegen Zechprellerei am Hals.«
»Isabel, das ist bestimmt alles ein Missverständnis. Ich rede mit ihn, wir müssen ihm eine Chance geben. Er ist es nicht gewohnt zu arbeiten aber er wird sich daran gewöhnen. Er ist doch ein guter Junge und so intelligent.«
»Svenja, du verstehst es einfach nicht. Dein Sohn ist nicht länger tragbar für diese Kanzlei. Roland redet gerade mit ihm. Er hat ab sofort hier Hausverbot.«
»Hausverbot?« Svenjas Stimme drohte sich vor Panik zu überschlagen. »Ist das nicht etwas übertrieben? Was habt ihr nur alle gegen den Jungen?«
Isabel umrundete den Schreibtisch und lehnte sich vor Svenja an den Tisch.
»Ist dir aufgefallen, dass unsere Kaffeekasse in letzter Zeit ständig leer ist und dass viele Dinge hier einfach verschwinden und nirgendwo wieder auftauchen?«
Svenja schnappte nach Luft, diese Anschuldigungen waren einfach ungeheuerlich.
Isabel stand auf und ging zur Tür. »Am besten du gehst nach Hause und beruhigst dich erst einmal. Und sag jetzt nicht, er war es nicht. Du selbst hast mir erzählt, dass bei euch zu Hause einige deiner Schmuckstücke verschwunden sind.«


Wie in Trance ging Svenja nach Hause. Ihr Auto hatte nicht mehr auf dem Parkplatz gestanden. Sicher war Eric damit nach Hause gefahren, nachdem Roland ihn des Hauses verwiesen hatte. Sie musste dringend mit ihren Mann über Rolands Verhalten reden. Das konnten sie sich nicht gefallen lassen.
Peter saß mit einen Glas Whiskey in der Hand auf der Terrasse.
»Ist das nicht ein bisschen zu früh?«, konnte sie sich nicht verkneifen.
Statt einer Antwort schenkte er das Glas wieder voll und hielt es ihr hin.
»Nimm, du wirst es brauchen!«, sagte er. Seine Stimme ging schleppend. Das konnte nicht sein erstes Glas gewesen sein.
Svenja betrat das Haus und wanderte langsam von Zimmer zu Zimmer. Die teuren Gemälde fehlten, genauso wie die Flachbildschirme, von den Computern hingen nur noch die Kabel auf den Schreibtischen. Im Schlafzimmer erblickte sie den leeren Tresor, in dem sie ihren wertvollen Schmuck und die Wertpapiere sicher verwahrt geglaubt hatte.
Unendlich müde trat sie auf die Terrasse. »Hast du schon die Polizei gerufen?«, fragte sie.
Peter sah sie mit einen eigentümlichen Blick an. »Und was bitteschön sollen wir dann sagen? Fangen Sie unseren missratenen Sohn wieder ein, weil er seine Eltern beklaut hat? Nein danke.«
Resigniert ließ sich Svenja auf den Stuhl neben ihren Mann sinken und nahm einen großen Schluck aus dem Whiskyglas, welches er ihr wortlos hinhielt.

3 Replies to “Lieblingssohn”

  1. Liebe Ida,

    das ist eine sehr gelungene Geschichte. Besonders den Einstieg finde ich toll! Gibt es nur diesen Text, oder existiert auch die Sicht des Jungen? Die wäre für meine Begriffe nicht nur extrem interessant, sondern würde auch deine Aussage abrunden bzw. vervollständigen. Danke fürs Teilen!

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