Voidcall: Das Rufen der Tiefe – Kapitel 6 – Verloren in den Tiefen von Nautilon

Der Scherenpanzer sank unaufhörlich in die Tiefe. Mittlerweile war es so schwarz um ihn herum, dass man nichts mehr von der Außenwelt erkennen konnte. Nur das kleine Licht seiner Taschenlampe erhellte die Fahrerkabine wie ein Funke der Hoffnung. 
Archweyll hatte auf seinen massigen Kampfanzug verzichten müssen, als er in den engen Panzer stieg, aber mit einer Notfallausrüstung war er immer ausgestattet. Er vergeudete keine Zeit und begann direkt damit, einen Plan auszuarbeiten. Denn ohne würde er hier unten sterben. Durch eine elektronische Verbindung hatte er vor ihrer Mission alle Daten des Scherenpanzers auf seine eigene Festplatte gebrannt, nun rief er diese holographisch ab. Er war kein Mechaniker und die Struktur des Anzuges war alles andere als unkompliziert, aber langsam hatte er den Dreh raus. 
Die Hauptstromversorgung saß kurz über dem Heckantrieb, zwischen den Schultern des Scherenpanzers, und war durch zwei Isolationsschichten von seiner Kabine getrennt. Es knisterte leise, während sein kleiner Handbrenner die erste Schicht durchstieß.
Wenn das noch länger dauert, kann ich auch einfach die Frontscheibe öffnen, dachte Archweyll ungeduldig. Aber diesen Gefallen würde er weder Crowler, noch diesem unnachgiebigen Planeten erfüllen. Der Kommandant biss die Zähne zusammen und konzentrierte sich mit einem eisernen Willen auf sein Ziel. Als der Brenner soweit war, riss Archweyll die Platte einfach heraus. Er konnte von Glück reden, dass die massive Aspexylpanzerung sich an der Außenwand befand und ihn vor Druck und Kälte schützte, während er das Innenleben des Scherenpanzers auseinandernahm.
Die zweite Isolationsschicht bestand aus einer schaumartigen Masse und Archweyll wurde das Gefühl nicht los, in fremden Eingeweiden herumzuwühlen, während seine Hand den Kunststoff beiseitefegte. Mit der Taschenlampe im Mund und dem Brenner in der rechten Hand, lugte er in das klaffende Loch seiner Innenbordwand. Kabel kamen ihm wie Lianen entgegengesprungen, aber dem Kommandanten war klar, dass er sie gefahrlos berühren konnte. Mit einer fast väterlichen Fürsorge tastete er sich voran, bis er die Energieversorgung fand. Die Propeller der Kühlelemente verrieten ihm, dass er hier richtig war. Währenddessen studierten seine Augen die Hologrammaufnahme seiner externen Festplatte, als hinge sein Leben davon ab. 
Moment … das tut es.
Sein Arm verschwand mittlerweile fast gänzlich in der Öffnung und seine Wange lag in einer sonderbaren Haltung gegen die Rückwand gepresst. Keuchend ließ er seine Finger noch tiefer hineinwandern, wohl wissend, was für einen Anblick er gerade abgeben musste. Aber das war jetzt völlig nebensächlich. Dann stießen sein Pranke auf einen breiten Kabelbaum, der sich wie eine kupferne Wirbelsäule durch den Anzug schlängelte.
»Hier muss es doch irgendwo sein«, keuchte Archweyll nervös. Wenn er den Unterbrecher nicht bald fand, konnte er Lebewohl sagen. Plötzlich stießen seine Finger auf eine eigenartige Form. Sofort krallte sich sein Griff daran fest. In seiner Hand lag ein fingernagelgroßer, ovaler Chip, der sachte vibrierte.
»Therodax-3«, schmunzelte der Kommandant. »Einfach, aber effizient.« 
Mit einem Ruck versuchte er den Chip zu entfernen, doch dieser wollte sich scheinbar nicht so einfach ergeben. 
Das Magnetfeld habe ich fast vergessen. Jetzt war Vorsicht geboten. 
Wenn er die Kabelstränge zerriss, war es mehr als ungewiss, ob die Maschine noch funktionieren würde. Fieberhaft suchte Archweyll nach einer Lösung für das Problem. 
Während er innig das Hologramm analysierte, kam ihm eine Idee. Eilig griff er nach seinem Schraubenzieher und schlug ein kleines Loch in die Bordwand, dort, wo der linke Greifarm verankert lag. Die Hologrammanalyse zeigte ihm, dass er dort einen Elektromagneten finden würde, der ihm für seine Zwecke dienlich sein konnte. Wenn er diesen mit genug Spannung auflud, konnte er den Therodax-3-Chip entmagnetisieren, zumindest für einen kurzen Zeitraum. Aber das würde genügen. 
Ärgerlicherweise hatte er dann womöglich nur noch einen Arm zur Verfügung, aber alles war besser als hier unten zu versauern. Mit dem Schraubenzieher drang er in das Loch ein, wühlte sich durch Kabel und stählerne Vorrichtungen, bis er auf den Magneten stieß. Sofort wurde sein Schraubenzieher davon abgestoßen, doch Archweyll war unnachgiebig. 
Mit einem unglaublichen Ruck und einem mechanischen Kreischen riss der Magnet aus seiner Verankerung, als Archweyll mit aller Kraft, die ihm verliehen wurde, an ihm zerrte. 
»Hab ich dich«, schmunzelte er. 
Jetzt kam der schwierige Teil: er musste den Magneten mit genug elektrischer Energie aufladen, um die beiden Magnetfelder langsam zu neutralisieren. 
Leider würde dafür seine Festplatte mit Hologrammanalysator und dessen kleiner Generator herhalten müssen. Da der linke Arm ohnehin defekt war, zerrte der Kommandant ein Kabel daraus hervor und schnitt es mit dem Messer in zwei gleichlange Hälften. 
Mit dem Schraubenzieher verging er sich an der Kiste, die ihm bis gerade noch treue Dienste geleistet hatte, und legte die äußere Hülle fein säuberlich ab, bis der summende Generator zu sehen war. Archweyll entfernte die Kabel, welche die Energiequelle mit dem Hologrammgenerator verbanden und klemmte die Kupferdrähte daran. Mit einem unflätigen Fluch quittierte er jeden Elektroimpuls, der wie eine zischende Energieschlange durch seinen Körper jagte. Dann verband er den Magneten mit dem Kabel, auch wenn dieser sich zunächst streng weigerte, und lud ihn mit Energie auf. Unter Aufwand all seiner Kräfte hielt er das Stück Metall umklammert, damit es nicht verloren ging. Doch das erforderte eine Menge Kraft. Blaue Adern traten aus Archweylls Schläfen aus und er schwitzte bestialisch, doch dann war es vollbracht. Im Bruchteil einer Sekunde drehte er sich um die eigene Achse und steckte den Magneten in das Loch. Sofort stieß er auf Widerstand, aber jetzt war er so kurz davor. Das entstandene Wechselfeld würde den Unterbrecher kurzzeitig destabilisieren.
Archweyll drückte den Magneten wie ein Besessener immer weiter vorwärts. 
Nachdem er eine gefühlte Ewigkeit so verharrte, ließ er ihn los, um nach dem Chip zu greifen. Mit seinen letzten Kräften zerrte er daran. Doch der Chip wollte nicht nachgeben. 
Ein zorniger Aufschrei entwich seiner Kehle. 
Nochmal. Es muss funktionieren! 
Abermals zerrte der Kommandant an dem Unterbrecher. 
Mit einem Ruck löste sich der Chip von den Kabeln und lag nun trügerisch in seinen Händen, als könne er kein Wässerchen trüben. Archweyll wischte sich den Schweiß von der Stirn, spukte aus und traf dabei versehentlich die Frontscheibe. 
Blöde Angewohnheit von mir. 
»Du kleiner Bastard«, fluchte er triumphierend. »Das hast du nicht kommen sehen, was?« 
Er legte den Unterbrecherchip auf seinen Schraubenzieher und binnen einer Minute reaktivierte er sich und heftete daran wie ein Parasit an seiner Beute. 
Archweyll setzte sich in den Sitz und drückte die Anwendung für die Energiequellenaktivierung. Es passierte nichts. Mit einem gequälten Aufschrei hämmerte er mit seiner Faust immer wieder auf den Knopf. Wie tief er mittlerweile wohl schon abgetaucht war? Noch hatte er den Grund nicht erreicht, doch die Strömung schien ihn immer weiter nach draußen zu treiben. Als hätte irgendetwas seine Gedanken erraten, ertönte plötzlich in weiter Ferne ein bedrohliches Grollen. Archweyll spitzte die Ohren und eine Gänsehaut bildete sich auf seinem Nacken, als ihm klar wurde, dass es sich um ein Lebewesen handeln musste. Angespannt lauschte der Kommandant dem Schlag seines eigenen Herzens. Er war hier unten nicht alleine und beileibe nicht der Stärkste. 
Also nichts wie weg von hier.
Nach drei weiteren gescheiterten Versuchen aktivierte sich endlich die Energieversorgung. 
Ein Schwall der Erleichterung brach aus Archweyll Kehle und mündete in ein triumphierendes Gelächter. »Bevor ich Crowler nicht den Arsch versohlt habe, holst du mich nicht!«, rief er herausfordernd in die Dunkelheit. Eilig begann er damit, die Anzeigen und Scans zu aktivieren. Fluchend wurde ihm bewusst, dass sich seine Torpedobatterie am linken Arm befand und somit nutzlos war. Aber immerhin funktionierten die Messwerte. 
»Fast sechs Kilometer unter der Oberfläche. Wir tief bin ich nur gesunken?«, seufzte Archweyll, bis ihm sein grottenschlechter Wortwitz den Anflug eines Lächelns auf die Lippen zauberte. 
»Radarzustand kritisch. Frequenz auf Notleistung gedrosselt«, ertönte plötzlich eine kratzende Stimme und der Kommandant zuckte vor Schreck zusammen. Dann räusperte er sich verlegen, als hätte ihn jemand in einer peinlichen Situation erwischt. »Schön, dass mal wieder jemand mit mir redet«, begrüßte er den Bordcomputer, als wäre es ein alter Freund. Dann entwich seinen Lippen ein Fluch. Der Antrieb war aus ihm unersichtlichen Gründen nicht funktionstauglich. 
»Soll das ein schlechter Witz sein? Jetzt ersticke ich nicht, sondern verdurste?«, grunzte er verdrießlich. Doch eine innere Stimme mahnte ihn zum Weitermachen. 
»Dann wollen wir mal« Er verband sich mit dem Scherenpanzer, rechter Arm und Beine gehorchten intuitiv seinem Befehl. 
Vielleicht klappt es ja mit Brustschwimmen? 
Doch dann wurde ihm klar, dass der defekte Arm wohl etwas dagegen hatte. Plötzlich nahm der Kommandant unter sich einen matten Schimmer wahr. Archweyll wendete seinen Anzug in der Strömung, sodass er einen besseren Ausblick hatte. Und er traute seinen Augen nicht. 
Riesige glühende Pflanzen streckten sich vom Grund aus in die Höhe und erleuchteten ihn in den unterschiedlichsten Farben. Ihre Form glich der eines Augapfels, der mit seinem Nerv am Meeresgrund verankert war. Sie waren überzogen von ädrigen Linien, die im Schein des Lichtes pulsierten. Die ballartigen Pflanzen hatten die unterschiedlichsten Größen. 
Manche besaßen nur zwei, andere bestimmt zehn Meter Durchmesser und sie tanzten sachte in der Strömung. Wabernde Schlote öffneten sich aus der Erde, aus ihnen entwich ein grüner Dampf und sie waren übersät mit krebsroten Pocken. Geisterhafte Silhouetten winziger Lebewesen huschten umher und als Archweyll näher herankam, bemerkte er, dass ihre Körper aus einer durchsichtigen, gallertartigen Konsistenz zu bestehen schienen. Das Gestein unter ihm bildete ein undurchschaubares Wirrwarr aus Höhlen und Kavernen, welche die abstraktesten Formationen bildeten und ihn wie ein gähnender Mund empfingen.
Für den Bruchteil einer Sekunde konnte er in weiter Ferne ein metallisches Glitzern wahrnehmen, doch als er näher hinschauen wollte, war es wieder verschwunden.
Ein weiterer Scherenpanzer?
Wenn sie alle hier unten gefangen waren, konnte das nur in einer Katastrophe enden. Die Strömung könnte sie mittlerweile meilenweit auseinandergedriftet haben und es der Truppe in dem Zyklopen dadurch fast unmöglich machen, sie zu finden. Außerdem hatten sie nach wie vor das Problem, dass Frequenzen aus dem sonderbaren Leichnam in den Warp vordrangen. Bei dem Gedanken daran geriet Archweyll ins Grübeln. Wie konnte es sein, dass Knochen eine Art Nachricht ins All versenden konnten? Mit was für einem Lebewesen hatten sie es hier zu tun? Seine Gedanken drifteten zu Tamara. Ob es ihr wohl gut ging? 
Archweyll bemerkte, wie sehr er sich danach sehnte, sie wohlauf zu finden. 
Zwar ebenso wie die anderen vermissten Mitglieder des Trupps, aber doch irgendwie anders. 
Der Kommandant fasste einen Entschluss. Er würde den Ursprung des metallischen Glitzerns ausfindig machen und für das Wohlergehen seiner Kameraden sorgen. Möglicherweise waren die anderen nicht so erfolgreich mit ihren Unterbrecherchips fertiggeworden. Er durchbrach die dichte Decke aus Pflanzen und zu seinem Erstaunen riss eine von ihnen auf, als er sie mit dem Greifarm streifte, und es entwichen Gasblasen, die in Richtung Oberfläche strömten. Archweyll entblößte ein freudiges Grinsen. Er hatte eine Möglichkeit gefunden, auch ohne Antrieb nach oben zu gelangen. Zumal die Pflanzen so grell leuchteten, dass sie wie ein Aushängeschild fungieren würden. Aber nun musste er sich darauf fokussieren, die anderen Mitglieder zu finden. Und Tamara. Er setzte den ersten Schritt und war noch nie so entschlossen etwas zu tun.

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