Das Kinderzimmer

In unserem Forum werden die unterschiedlichsten Schreibübungen angeboten. Aus so einer Schreibübung stammt folgender Text. Die Aufgabe war, eine Situation aus dem Blickwinkel von mindestens zwei Personen zu beschreiben.

Irina
„Bis heute Abend mein Schatz, hab einen schönen Tag“. Robert küsst mich. Kurze Zeit darauf höre ich die Wohnungstüre. Er ist weg.
Nachdenklich wälze ich mich aus dem Bett. Das ist gar nicht mehr so einfach mit diesem Riesenbauch, den ich vor mir herschiebe. Noch vier Wochen, dann wird unser Baby da sein.
Ich öffne die Türe zum Kinderzimmer.
Sonnengelb gestrichene Wände mit einer fröhlichen Wandbordüre, ein Mobile an der Decke, unter dem Fenster der Stubenwagen. – Ansonsten gähnende Leere.
Ich verstehe Robert nicht. Wir hatten schon vor Monaten darüber gesprochen, wie das Zimmer aussehen soll. Er hatte so viel Spaß bei der Planung und hat alles penibel aufgezeichnet. Danach waren wir in den Möbelhäusern der Umgebung, nichts hat ihm gefallen! Kopfschüttelnd mache ich die Türe wieder zu.
Hat meine Freundin Gaby Recht wenn sie mir rät, einfach ein Zimmer zu kaufen und ihn vor vollendete Tatsachen zu stellen? Wenn Robert das mit mir machen würde, wäre ich sehr verärgert. Nein, ich werde warten. In den ersten Wochen reicht ja auch der Stubenwagen.
Gestern ist er wieder so spät von der Arbeit gekommen. Gabys Andeutung, dass er vielleicht fremdgeht, geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Was soll ich nur tun? Sein Handy durchsuchen, wie Gaby es mir riet, werde ich auf keinen Fall. Doch ich muss diesen Gedanken loswerden. Er frisst mich auf. Wenn er mir das jetzt antut, wo ich schwanger mit unserem gemeinsamen Kind bin, kann er sich gleich zum Teufel scheren. So einen Mann will ich nicht.
Er hat sich so sehr gefreut, als sich unser Kleines anmeldete. Sein Leuchten in den Augen sprach Bände. Vielleicht mag er mich nicht mehr, so wie ich jetzt bin? Mein dicker Bauch und die Krampfadern sind nun wirklich nicht schön. Und meine starken Stimmungsschwankungen erschrecken mich manchmal selbst.
Wir haben uns vor über zehn Jahren kennengelernt. Sind ein paar schwierige Monate ein Grund zum Fremdgehen? Habe ich einen Schönwettermann geheiratet? Wenn er zu Hause ist, ist er sehr fürsorglich. Aber er ist kaum noch da. Vielleicht flüchtet er ja nur in die Arbeit? Ich hoffe es so sehr.
Ich watschle in die Küche und mache mir einen Tee. Das Brot ist mir zu trocken, anstatt dessen schnappe ich mir Tafel Schokolade und setze mich ins Wohnzimmer. Morgen habe ich einen Termin beim Frauenarzt. Robert kann diesmal leider nicht mit. Er hat einen Gesprächstermin mit einem Kunden.

Robert
Meine Finger streichen sanft über das leicht rötliche, geölte Holz. Morgen ist es endlich so weit. Ich werde das Kinderzimmer aufbauen, während sie beim Frauenarzt ist. Die letzten Wochen habe ich jede freie Minute in der Firma verbracht und trotzdem hätte ich es nicht geschafft, hätten Olli und Werner mir nicht geholfen. Aber es ist so schön geworden. Den Stoff für den Himmel habe ich Irinas Mutter gebracht, da muss ich morgen auch noch vorbeifahren. Sie hat mir eine Nachricht aufs Handy geschickt, dass sie fertig ist und ich auch das Nestchen und die Bettwäsche schon mitnehmen kann.
Ich freue mich so. Das wird eine Überraschung werden.
Die letzte Zeit hat sich Irina sehr zurückgezogen. Ich verstehe das, so eine Schwangerschaft ist kein Spaziergang. Mir zerspringt fast das Herz vor Freude wenn ich sie ansehe. Sie wird von Tag zu Tag schöner und ich bin so gespannt, wie unsere Tochter aussehen wird. Der Frauenarzt wollte sich nicht festlegen, aber ich bin mir sicher, es wird ein Mädchen werden.
Die letzten Wochen, während ich an dem Kinderzimmer arbeitete, fühlte ich mich so glücklich, so reich beschenkt mit meiner wunderbaren Frau, die nun Mutter unseres gemeinsamen Kindes wird.
Wir waren mehrere Male in verschiedenen Möbelhäusern um ein Kinderzimmer auszusuchen und jedes Mal wurde es schwieriger, ihr den Kauf auszureden. Sie wollte so gerne alles vorbereitet haben, das war deutlich zu spüren. Das Zimmer wird Irina gefallen. Es ist genau so, wie wir es uns ausgemalt haben. Und es ist gut geworden, ich bin schon ein bisschen stolz auf mich. Es war mir sehr wichtig, etwas für unser Kleines zu tun, das nur ich tun kann.
So, und jetzt fahre ich noch an den Bahnhof und hole Irina eine Schachtel Pralinen. Ganz im Gegensatz zu sonst, mag sie die letzten Wochen so süßes Zeug und ich möchte ihr gerne eine Freude machen.

2 Replies to “Das Kinderzimmer”

  1. Überraschungen können auch in die Hosen gehen.
    Ich hätte es halt einfach gesagt. So hätten sich die beiden gemeinsam freuen können und Irina hätte sich die Sorgen erspart.
    Aber dann wäre keine spannende Story daraus geworden.
    Gruß, Edith

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