Voidcall – Das Rufen der Tiefe – Kapitel 2: Auf zu neuen Ufern



»Wir springen in den Warp!«, rief Clynnt Volker lautstark durch das Mikrofon. Seine elektronische Stimme krähte durch den gesamten Patrouillenkreuzer. 
Bei diesen Worten zog sich eine vorfreudige Erregung durch Archweylls Körper, während er von der Kommandobrücke aus in die Weiten des Alls starrte. Endlich. 
Die Atharymn war wieder einsatzbereit und auf dem Weg zu ihrer nächsten Mission. Ihr Verschwinden und Wiederauftauchen vor drei Monaten, als der Warp sie verschluckt und Howard Bering sie an den Dämonen ausliefert hatte, war von der föderalen Obrigkeit nicht einmal mit einem Achselzucken quittiert worden.
Aber auf diesen Ruhm hätte Archweyll auch getrost gepfiffen. Was er brauchte, waren loyale Männer und Frauen, die wussten, was sie taten.
Als hätte jemand seine Gedanken verraten, trat plötzlich die neue Chefmechanikerin an ihn heran. »Nautilon, hm? Nie davon gehört.« Sie extrahierte ein Datenbündel auf ihre Monitore, indem sie mit dem Finger eine Bewegung zwischen den Bildschirmen durchführte. 
»Könnte daran liegen, dass dieser Planet für die Föderation bisher absolut unbedeutend gewesen ist«, erwiderte der Kommandant stirnrunzelnd. »Ich frage mich, was sie gefunden haben, dass sie direkt einen Kreuzer mit Ausrüstung dort hinschicken. Hast du dich da unten mittlerweile gut eingelebt?«
»Es ist etwas finster, aber ich komme zurecht. Nur eure Ausstattung ist mangelhaft, im Vergleich zu meinem früheren Arbeitsplatz«, antwortete Daisy Lee gelassen, bevor ihre großen blauen Augen Archweyll gänzlich zu durchdringen schienen. »Von welcher Ausrüstung reden wir eigentlich?«, erkundigte sie sich neugierig. 
Er winkte sie näher zu sich heran, dann aktivierte er einen Hologrammgenerator. 
Wie aus dem Nichts entstand ein Bild, zunächst verzerrt und undeutlich, doch dann wurde es immer markanter, bis man die Umrisse einer großen Maschine erkennen konnte.
Daisy pfiff durch die Zähne. »Ein Zyklop. Nicht schlecht«, sagte sie gespielt ehrfürchtig, als würde sie etwas für sich behalten. 
»Die haben sie damals gebaut, um den Renegatenfürst Balthasar Coiren auf Orian II den Garaus zu machen. Drei dieser U-Boote haben bis heute überlebt und sind einsatzbereit«, erklärte Archweyll, während er mit dem Finger auf das Hologramm deutete. 
»Ach, echt?«, irgendetwas in Daisys Stimme missfiel dem Kommandanten.
Der Zyklop war ein Berg aus Metall, mit einer riesigen, runden Frontkuppel aus Glas, die das Gefährt wie einen einäugigen Riesen erscheinen ließ und ihm somit zu seinem Namen verholfen hatte. 
»Ausgestattet mit Torpedobatterien der Untergangs-Klasse und einem Dutzend Scherenpanzer-Anzügen, die habe ich damals selbst entwickelt«, zwinkerte ihm die neue Chefmechanikerin zu. 
»Beeindruckend«, lobte Archweyll. Trieb sie ein Spiel mit ihm?
»Die Generäle der Heerführung vergessen schnell, wem sie ihren Erfolg zu verdanken haben«, winkte Daisy ab, doch Archweyll bemerkte sofort, dass sie das heimlich zu ärgern schien. 
Der einsetzende Warpsprung war so samtweich, dass er ihn kaum noch spürte. Diese fließende Bewegung in einen Ort, jenseits von Raum und Zeit, konnte eine beeindruckende Erfahrung sein. Vor der Glaskuppel schien das Schwarz des Alls in seine einzelnen Komponenten zu zerfließen. Farben verschmolzen zu einer Kaskade der Leidenschaft, bildeten im Sekundentakt explodierende Prismen, bis sie schließlich undefinierbare Formen annahmen, die das bloße Auge kaum noch zu erkennen vermochte.
Archweyll erkannte, wie Daisy dieses Spektakel mit offenem Mund bestaunte. »Ein wahres Wunderwerk, nicht wahr?«, fragte er sanft und stellte sich neben sie, um aus dem Fenster zu schauen. Die Blicke seiner Navigatoren ignorierte er gekonnt.
»Es ist wunderschön«, hauchte die junge Frau mit großen Augen. 
»Noch 57 Minuten bis zur Ankunft«, knisterte es durch das Mikrofon. 
Der Kommandant verdrehte die Augen. Clynnt war einfach kein Romantiker. Er aktivierte die Sprachausgabe seines Kampfanzuges und linkte sich in die Mikrofonanlage ein. 
»Lagebesprechung. Tamara, Clynnt, ich möchte euch in zwei Sekunden bei mir haben…«, er zählte kurz laut runter. »Ihr seid zu spät. Beeilt euch gefälligst!«
Einen Moment später lugte Clynnts Kopf aus der Navigatorenkabine heraus. »Ist es wichtig? Das Radar zeigt mir so viele uninteressante Sachen, dass ich es vorziehen würde, weiter daraufzustarren. Man weiß ja nie.« Er lächelte verschmitzt, kam dann aber zu Archweyll herübergelaufen.
Eine Minute später öffnete sich ein Aufzug und Tamara trat auf die Kommandobrücke. Mit einem steifen Nicken begrüßte sie die anderen, bis ihr Blick schließlich auf Daisy traf. »Die Neue?«, fragte sie Archweyll ausdruckslos. 
»Ich kann durchaus für mich selbst sprechen!«, zischte die Chefmechanikerin. Für eine Sekunde schien die Luft zu knistern, als ihre Blicke sich trafen. 
Clynnt warf Archweyll einen flehenden Blick zu. »Mein Radar…«, flüsterte er und deutete mit einer Geste an, dass er plötzlich unglaublich wichtige Dinge in seiner Navigatorenkabine zu erledigen hatte. 
»Meine Damen, ich habe euch nicht hergerufen, um Liebesbekundungen auszutauschen«, grummelte Archweyll. Derlei sinnlose Feindseligkeiten empfand er als ermüdend. Aber er wusste, was an Tamara nagte. Und es war nicht die Tatsache, dass sie die neue, hübsche Kollegin als so etwas wie eine Konkurrentin wahrnahm, denn das lag unter ihrer Würde. 
Es war vielmehr der Umstand, dass sie es damals nicht geschafft hatte Howard Bering aufzuhalten und sie daher jedem Neuankömmling mit äußerster Skepsis gegenübertrat. 
Ein Instinkt, von dem Archweyll hoffte ihn niemals teilen zu müssen. »Wenn ich nun also eure ungeteilte Aufmerksamkeit habe, würde ich gerne die Missionsdetails erläutern«, fuhr er fort, schritt demonstrativ zwischen den Frauen entlang und unterband damit jeglichen Blickkontakt der beiden. Abermals aktivierte er den Hologrammgenerator und eine blaue Kugel wurde sichtbar. »Planet Nautilon, aus dem Neon-System. Seine Oberfläche besteht zu hundert Prozent aus Wasser. Aber lasst euch dadurch nicht beunruhigen, ich habe für alle Schwimmflügel eingepackt.« Sein Blick wanderte mit der Eindringlichkeit einer Nadel durch die Reihen, doch er bekam nur dezentes Kopfschütteln als Antwort. »Um bei der Sache zu bleiben, vor zehn Jahren hat die Föderation diesen Planeten für sich beansprucht und eine Forschungseinrichtung errichtet, die mittlerweile ein Fabrikant von gängigen Stimulanzmitteln für das Militär geworden ist.« 
Er merkte, wie Tamara dem Chefnavigatoren etwas ins Ohr flüsterte und dieser ihr grinsend zunickte.
Archweyll konnte nur spekulieren, worum es ging. »Doch vor ein paar Wochen haben sie dort unten etwas gefunden und es wird unsere Aufgabe sein, es zu bergen. Dafür hat uns der interstellare Rat einen Zyklopen samt Mannschaft zur Verfügung gestellt.«
Die Aussicht, bald den Himmel zu verlassen, um in der erdrückenden Tiefe eines gigantischen Ozeans nach etwas zu suchen, schien den anderen ebenso wenig zu gefallen wie Archweyll. 
»Wissen wir, um welches Objekt es sich handelt?«, fragte die Chefmechanikerin kritisch. 
»Das wird uns der Leiter der Forschungsabteilung mitteilen, es ist bisher streng vertraulich«, erwiderte der Kommandant achselzuckend. 
»Initiiere Schubfrequenz, wir verlassen den Warp«, knisterte es plötzlich aus der Sprechanlage. Sanft wie eine Feder glitt die Atharymn zurück in Raum und Zeit. Die Farben vermengten sich wieder zu einem einheitlichen Schwarz. Vor ihnen lag eine blaue Kugel, von grauen Schlieren durchzogen, die wirkten wie Geisterfäden. 
Auf den ersten Blick sah der Planet ihrer Heimat Prospecteus gar nicht mal unähnlich. Nur bei genauem Hinsehen wurde einem klar, dass die Kontinente fehlten. 
»Kreuzer auf Standby halten und über dem Planeten kreuzen«, befahl Archweyll durch das Mikrofon. »Der Einsatztrupp folgt mir in den Hangar. Wir nehmen den schnellsten Weg.«
Hektische Schritte und das Läuten von Sirenen begleiteten Archweyll, während er, flankiert von seinem neuen Team, durch den geräumigen Hangar schritt. 
Einige Arrows hatten sich bereits Abflugbereit gemacht, die pfeilschnellen Jäger würden als Eskortschiffe dienen. Vor ihnen ragte die Manticor auf, das größte Transportschiff, dass die Atharymn beheimatete. Es war ein wenig anmutiges, aber praktisches Schiff, mit drei Reihen übereinander gekreuzter Flügel und riesigen Propellerantrieben, die eine punktgenaue Landung in der Atmosphäre ermöglichten. Zischend kam ihnen die Rampe entgegen und gewährte der Truppe Einlass. 
Archweyll stieg eine steile Leiter zur Kommandobrücke hinauf, quittierte die engen Raumverhältnisse mit einem unflätigen Fluch und befahl den Startvorgang. 
Die Manticor startete und ein ohrenbetäubendes Brüllen entwich ihren Antrieben. 
»Klingt fast so wie bei mir zuhause«, knurrte der Kommandant bissig, während er sich anschnallte. »Atmosphäreeintritt in Siebzig Sekunden. Alles anschnallen«, frohlockte er. 
Tamara nahm neben ihm Platz. Ihr Blick verriet ihre Befürchtungen. »Dort unten sind wir nicht in unserem Element. Wer wird das U-Boot steuern?«, fragte sie besorgt.
»Ich mache das«, verkündete Daisy mit einem undefinierbaren Ton in der Stimme. »Schließlich habe ich es gebaut.« 
Das war es also gewesen. Archweyll schloss die Augen und entschied sich dafür, für ein paar Sekunden in das Land der Feen und Kobolde abzutauchen, um Tamaras Blick zu entgehen. 
Als er die Augen öffnete, war dieser aber immer noch auf ihn gerichtet, wie eine geladene Waffe die jederzeit feuern konnte. Und würde. 
Clynnt seufzte. »Das wird ein Spaß«, kommentierte er die Szenerie, dann brachen sie unsanft durch die Atmosphäre. 
Dichte Regenwolken schlossen sich um sie und prasselten unnachgiebig auf die Frontscheiben. Unter ihnen tobte das Meer, in einem beständigen auf und ab. 
Gischt spritzte in die Höhe, während die Wellen einen Krieg ausfochten. 
»Eine Stunde noch bis zum Ziel«, plötzlich bemerkte Archweyll trotz der Umstände so etwas wie Vorfreude in sich aufkeimen. Denn noch hatte er keine Ahnung, was ihn erwarten sollte…

 

 

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