Die Wölfe von Asgard – Das Zeichen der Götter (2/2)

Der grausige Schlachtenlärm dröhnte in ihren Ohren, dennoch kam es Deila so vor als sei ihr Leben nie harmonischer gewesen, als in diesem Augenblick. Nichts stellte sich zwischen die Jägerin und ihre Beute. Obwohl es sich in diesem ausgewachsenen Handgemenge als schwierig erwies, die Übersicht zu behalten, konnte sie ihren Vater klar unter sich erkennen. Sie fletschte die Zähne. Ihren Mund erfüllte der bittere Geschmack von Blut. 
Ich bin dein Fluch, Vater. Und dieser Fluch wird heute dein Leben fordern. 
Mit einem Aufschrei stürzte sie sich vom Felsen. 
Im gleichen Moment schwärmten Yorrick und seine Leute aus dem Geäst und verwickelten die Ustenströmer in bittere Zweikämpfe. Der Schiffsbaumeister hatte auf ihr Zeichen gewartet. Trotz ihrer Wunde, hatte sie sich diesen Moment nicht nehmen lassen. 
Einmal groß sein. Wissen wie es sich anfühlt, zu leben.
Der erste Mann, der ihren Weg kreuzte, ging mit einem Röcheln zu Boden, als Deila ihm ohne mit der Wimper zu zucken den Speer durch den Hals rammte. 
Siehst du mich, Vater?
Er sah sie. Durch seine Augen zuckte ein Gefühl, dass in Deila eine freudige Erregung hervorrief. Angst. Nichts weiter als die blanke Angst.
Fürchtest du mich, Vater?
Abermals warf sich ihr ein Feind wie aus dem Nichts entgegen. 
Deila lenkte die Axt mit dem Speer um, vollführte einen Ausfallschritt und schnellte dann so blitzartig hervor, dass ihrem Gegner keine Zeit zum Reagieren blieb. Der Speer bohrte sich durch seine Brust und eine rote Wolke hüllte ihn ein, während er zusammenbrach.
Während sie tötete, ließ sie ihren Vater nicht einen Moment aus den Augen. 
Erkennst du, was du aus mir gemacht hast, Vater?
Islav wandte sich von ihr ab. Er drängte durch das Schlachtgeschehen, nur fort von ihr. Er hatte Mühe, den Angriffen zu seinen beiden Seiten zu entgehen, doch irgendwie gelang es ihm. Ein Speer streifte seine Schulter und er bellte vor Schmerz. Doch nichts schien ihm gewisser, als dass er sein Heil in der Flucht suchen sollte.
Deila genoss es. Trieb ihn wie ein Tier. Jeder, der ihren Weg kreuzte, starb. 
Eine geisterhafte Stimme schnitt durch ihren Kopf, scharf wie die Schwerter der höchsten Richter selbst: »Valkyra.«
Dann erreichten sie das Ende des Schlachtfeldes. Islav rannte davon wie aufgeschrecktes Wild, Deila schoss ihm hinterher.
Plötzlich registrierte sie einen Schemen, der sich aus dem Schatten löste und auf sie zumarschierte.
Hjalmaer verzog seinen Mund zu einem höhnischen Grinsen, während er sich zwischen die beiden stellte. »Keine Sorge, wir werden heute beide einen Vater verlieren«, knurrte er sie an.
Hat er geweint?
Von dem einst so stolzen Sohn des Magnar war kaum noch etwas zu erkennen. Blut befleckte sein Gesicht, seine Augen erschienen Deila trotz der Dunkelheit aufgequollen und rot. Sein Schwertarm zitterte, während er die Klinge in ihre Richtung ausstreckte.
»Du«, presste sie zwischen zusammengekniffenen Zähnen hervor. Der Rausch der Schlacht verabschiedete sich allmählich von ihr und wich einer bleiernen Schwere, die sich mit dem Hauch des herannahenden Todes in ihre Glieder schlich.
»Dir werde ich dein hässliches Grinsen aus dem Gesicht schälen, für das, was du mir und meinem Dorf angetan hast«, zischte sie wutentbrannt. »Außerdem stellst du dich zwischen mich und meine Beute.« Ohne Vorwarnung griff sie an. 
Der Speer zischte auf Hjalmaer zu, doch diesem gelang es, im letzten Moment auszuweichen. Er konterte mit einem Aufwärtshieb, der ihr fast die Waffe aus den Händen riss.
Dieser hier wird schwieriger.
Fast machte sie dieser Umstand glücklich. Wieder stieß sie zu, doch ihre Bewegungen wurden allmählich langsamer. 
Der Ustenströmer lenkte ihre Waffe von sich fort und ließ sein Schwert auf sie niedersausen.
Deila konterte, indem sie den Speer in Windeseile quer an ihre Brust presste, um den Schlag abzufangen. Die Wucht des Angriffs erschütterte sie in ihren Grundfesten.
»Ein Weib wie du es bist, wird einem echten Krieger niemals gewachsen sein«, schrie ihr Hjalmaer entgegen. »Und selbst für einen hässlichen Mann würde es nicht reichen.« Wieder griff er an. Seine Waffe sauste an Deilas rechtem Ohr vorbei, sodass es zischte.
»Vielleicht finden wir im Schweinestall eine Verwendung für dich. Irgendwer muss schließlich die Eber bei Laune halten.« Er lachte hysterisch. 
Deila blieb stumm. Was zählte waren Taten, nicht Worte. Und die Tatsache, dass er trotz dieser Worte Hand an sie gelegt hatte, sagte doch mehr über ihn aus, als über sie. Und dennoch konnte sie nicht umhin, festzustellen, dass sie ungewollt zu Zittern begann. Ihr Körper fühlte sich kalt und leer an. 
Mit einem Schrei zwang sie sich ins Diesseits zurückzufinden. Gerade noch rechtzeitig, um einer ihr geltenden Stichattacke zu entkommen.
Hjalmaer fauchte wütend, als er feststellte, dass sein Angriff fehlgeschlagen war. »Zäh wie ein Ochse, das muss man dir lassen«, knirschte er wütend. 
»Mach dich auf etwas gefasst«, ächzte Deila zurück. 
Er verzog eine Augenbraue. »Ach, wirklich?«, feixte er gespielt gelangweilt.
Sie umkreisten einander wie Raubtiere, bereit zum Sprung.
Deila ließ den Speer vorschnellen, doch Hjalmaer war flink. 
Er wich dem Angriff aus und täuschte einen Ausfallschritt an. Im letzten Moment ließ er von seinem Vorhaben ab und schürfte Deila das Schwert mit voller Wucht gegen den Arm.
Ein greller Schmerzensschrei entwich ihrer Kehle, der Speer flog ihr aus den Händen. 
Triumphierend baute er sich vor ihr auf. »Du bist am Ende«, kicherte er. »Finde dich damit ab.« Doch als er in Deilas Augen blickte, zögerte er.
»Narr!«, fuhr ihn die Nordmaid an. »Der Schmerz ist das, woraus ich meine Kraft schöpfe. Und du hast ihn erneut entfacht.«
Sie griff nach dem Speer und stürzte sich auf ihn. Hieb folgte auf Hieb, bis es schien, dass Hjalmaer einen Tanz vollführte.
Der Ustenströmer verpatzte eine Parade und der Speer bohrte sich in sein Bein. Brüllend vor Pein versuchte er zu kontern, doch Deila ließ ihm nicht die Gelegenheit. Der Schaft der Waffe krachte in sein Gesicht. Dann noch einmal. Und noch einmal, mit einer solchen Wucht, dass es knackte. 
Ächzend ging der Sohn des Magnar zu Boden. Blut strömte aus seiner Nase uns sein Kiefer hatte sich ungesund verdreht. 
Deila bäumte sich über ihm auf, ihr Speer glitzerte im Mondlicht. Dann rammte sie ihn mit voller Wucht in seinen vor Schreck weit geöffneten Mund.
Schon im nächsten Moment suchten ihre Augen das nächste Ziel.
Doch Islav schien wie vom Erdboden verschluckt. 
Mit einem zornigen Aufschrei versenkte sie die Waffe abermals in Hjalmaers Körper, diesmal in seiner Brust. Mit dem Schlag wich die letzte Kraft aus ihren Gliedern. Deila sank in die Knie, Schwindel erfasste sie, vernebelte ihren Verstand. Ihre Wunden pochten als wären sie zwei zusätzliche Herzen, die den Schmerz durch ihren Körper pulsieren ließen. Ein dumpfes Dröhnen erfüllte ihren Kopf, bis es alle anderen Geräusche verschluckt hatte. Unsagbarer Druck zerquetschte ihre Glieder. Eine letzte Träne trat aus ihrem Augenwinkel.
Hättest du mich je lieben können, Vater?
Ein Seufzer entwich ihrer trockenen Kehle, dann verlor sie das Bewusstsein. 


***

Das Blatt hatte sich gewendet. Dank Yorricks Überraschungsangriff war es den Skiringssalern gelungen, den Feind zurückzudrängen. 
Aegir ließ seine Axt auf den Feind niedergehen als würde er versuchen, Bäume mit einem einzigen Hieb zu spalten. 
Snorri beobachtete ihn, wie er zahlreiche Feinde niederstreckte. 
Danke, Bruderherz. Dass du mich vor dem bewahren wolltest.
Es dauerte nicht lange und die verbliebenen Ustenströmer ergaben sich. Sie warfen die Waffen von sich und knieten sich in die Hocke. 
Die Skiringssaler umkreisten sie mit Mienen, die vor Mordlust nur so trieften. 
»Ich sage, wir knüpfen sie auf!«, brüllte Knutson in die angeheizte Menge. Bestätigende Rufe folgten seiner Aufforderung.
»Lasst sie Bluten für das, was sie angestellt haben!«, forderte Yorrick. Er kniete vor dem reglosen Olaf und erwies ihm die letzte Ehre. Seine Hände glänzten feucht und rot vom Blut, ebenso wie sein gesprenkeltes Gesicht, das sich vor Gram verzerrte. 
Egal wohin Snorri blickte, der Tod schien allgegenwärtig. Dort, wo gerade noch die Schreie der Sterbenden in seinen Ohren gedröhnt hatten, befanden sich nun nur noch leblose Körper, die eine stille Klage in den Himmel hinaufächzten. 
Allmählich kroch die Sonne hinter dem Horizont empor und begrüßte die Überlebenden mit einem bitterroten Himmel, als wüsste sie längst, was heute Nacht geschehen war. 
So viel Tod, dachte Snorri und schluckte. Und das völlig umsonst.
Ein wüster Schrei verdrängte seine Gedanken. 
Yorrick hatte ein Messer gezogen und hielt es einem Ustenströmer an die Kehle. 
Mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen blickte der Mann auf die blanke Klinge, die nunmehr den seidenen Faden zwischen Leben und Tod für ihn darstellte. 
»Nenne mir einen Grund!«, brüllte der Schiffsbaumeister in das Ohr des Gefangenen. Seine Hände zitterten vor Wut. 
Der Ustenströmer zuckte vor Schreck zusammen.
Snorri fühlte sich für einen Augenblick wie betäubt. Die Leichen, das Blut, die Schreie, die in der vergangenen Nacht durch die Dunkelheit gehallt waren, das alles vermengte sich in seinem Kopf zu einer Sintflut des Grauens. Eine endlose Beklommenheit presste seine Lungen zusammen. Er zwang sich dazu, ruhig zu atmen. Ein und aus. 
Und dann spürte Snorri ein seltsames Gewicht auf seiner rechten Brust haften. Als er danach tastete, stellte er fest, dass das Kreuz, das er aus dem Kloster geraubt hatte, noch in seiner Tasche ruhte. Und da wurde ihm klar, was er zu tun hatte.
»Haltet ein! Ihr alle!«, brüllte er nach Leibeskräften. 
Yorrick blickte ihn entgeistert an. »Ruhe, Knirps. Und dann fort mit dir. Das hier willst du nicht mit ansehen«, knurrte er dann.
»Du hast Recht«, erwiderte Snorri und machte vorsichtig einen Schritt auf ihn zu. »Das will ich nicht. Und dennoch werde ich mich nicht umdrehen, bis ich weiß, dass du diesem Mann kein Haar krümmen wirst.«
Aufgeregte Rufe ertönten. »Was fällt dir ein, Knirps?«, herrschte Yorrick ihn an und verlagerte mehr Druck auf die Klinge.
Das Gesicht des Ustenströmers lief weiß an vor Angst und Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn. »H-Hört auf den J-Jungen«, stotterte er mühsam hervor.
»Du hältst bloß dein Maul!«, antwortete Snorri harsch. »Du wirst deine Strafe noch kriegen, denn ihr habt euch alle des Verrats schuldig gemacht.«
»Und du weißt, welche Strafe darauf steht!«, brüllte Yorrick ungeduldig. »Und ich werde noch gnädig sein. Ein paar Stiche, was macht das schon, im Vergleich zum Blutaarspektakel? Nichts anderes haben diese Bastarde verdient.« Er spuckte verächtlich aus. 
Snorri breitete die Arme aus. »Siehst du nicht, was hier passiert ist? Mord und Tod umgeben uns und die Geister der Gefallenen werden diesen Ort ewig heimsuchen. Diese Erde wird für immer in Blut getränkt bleiben. Und du willst wirklich noch mehr vergießen? Das ist Wahnsinn.«
»Das«, knurrte Yorrick und sein Blick nahm kurz etwas Grausames an, »ist Gerechtigkeit.« Mit diesen Worten schnitt er dem Mann die Kehle auf.
Gurgelnd fiel er zu Boden und regte sich nicht mehr. 
Johlende Rufe ertönten und feuerten Yorrick an. Dieser schritt auf den nächsten Gefangenen zu. 
»Das ist Wahnsinn, seht ihr es denn nicht?«, keuchte Snorri, doch seine Worte fanden keinen Anklang. Niemand hörte ihm zu.
Snorris Blick suchte seinen Bruder, doch Aegirs steinerne Miene deutete ihm an, jetzt besser ruhig zu bleiben. In den Händen hielt er die reglose Deila, aus der sämtliches Leben gewichen war. 
So viel also zu deiner sogenannten Nächstenliebe.
»Gerechtigkeit? Das was du da tust soll gerecht sein?« In Snorri begann es zu kochen. »Ist Yorrick der Weise schon so groß, dass er im Auftrag der Götter handeln darf? Gefangene, die sich ergeben haben, abzuschlachten, zeugt nicht von Gerechtigkeit. Es ist egoistisch!« Nun kannte er keinen Halt mehr. Dieses sinnlose Töten musste endlich aufhören.
Yorrick blickte ihn entgeistert an.
»Na schön, dann bring sie doch alle um!«, herrschte Snorri. »Und dann komm zuhause an und er zähl deinen Töchtern was passiert ist. Und wenn sie dich fragen, warum du all die Menschen umgebracht hast, sehe ihnen nur für einen Moment in die Augen und sag ihnen ‚weil mir danach war‘. Und dann beobachte, was ihre Augen erwidern. Sag mir, willst du das erleben?«
Wütend wandte Snorri sich ab und stürmte davon. Die Bestürzung brach endgültig aus ihm heraus und Tränen drangen aus seinen Augenwinkeln. Erst als er die Klippen erreicht hatte und der Wald sich teilte, um der See Platz zu machen, hörte er auf zu rennen. Seine Lungen brannten, doch es war ihm egal. Tief saugte er die salzige Luft ein. Lauschte dem Gekreische der Möwen und der Brandung, die im Takt der Gezeiten an den Felsen nagte. Seit einer gefühlten Ewigkeit hatte er das letzte Mal etwas derart vertrautes, beruhigendes gehört. Es hatte fast etwas von Heimat.
Snorri blickte sehnsüchtig in die Ferne. Heimat. Wie sehr er sich nach den vertrauten skiringssaler Buchten sehnte. Er konnte es kaum erwarten, Segel zu setzen und in See zu stechen. Fort von dem Grauen der vergangenen Tage, das seine Seele für ewig beflecken würde. Er griff nach dem Kreuz in seiner Brust und holte es aus der Tasche heraus, betrachtete es für einen Moment. Dann schleuderte er es im hohen Bogen ins Wasser. Mit einem lauten Platsch versank es in den Fluten. 
»Das brauche ich nicht mehr«, sagte er und blickte dabei in den Himmel hinauf. »Es hat mir den Anfang des Weges gezeigt, doch nun werde ich ihn alleine beschreiten müssen.« Er holte tief Luft. »Damit ich am Ende bei dir ankomme und sagen kann, dass ich alles richtig gemacht habe.« Die aufgestaute Wut wich einer gewissen Erleichterung. Er hatte es getan. Das ausgesprochen, was schon seit dem Kloster an ihm nagte. Und es fühlte sich verdammt richtig an. Er blickte ein letztes Mal auf die weite See hinaus. Und da wurde ihm klar, dass er sie nie wieder befahren würde. Zumindest nicht, um zu plündern. Doch irgendwie erleichterte ihn diese Tatsache. Die Reise war zu Ende und er hatte es überlebt. Noch vielmehr als das, hatte ihn eine wichtige Erkenntnis ereilt. Snorri lächelte kurz in sich hinein und wischte die Tränen fort. Dann machte er sich auf den Weg, zurück zu den anderen. 

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