Die Wölfe von Asgard – Wo die Riesen wohnen

Das große Langschiff, das Yorrik pünktlich zum anstehenden Viking fertiggestellt hatte, konnte sich in seiner Größe und Pracht wahrhaft sehen lassen und hob sich deutlich von den anderen im Hafen liegenden Drachenbooten hervor. Das nach Odins Wolf benannte Schiff Gerri, der Gierige, würde ihnen auf See gute Dienste leisten. Auf jeder seiner Seiten gab es Platz für dreißig Ruder und es lag so flach im Wasser, dass es auch seichte Strände und Flüsse befahren können würde. Der Mast ließ sich umstürzen, um selbst Hindernisse wie Brücken zu passieren, und laut des Schiffsbaumeisters war das blutrote Rahsegel in der Lage, den harschesten Seewinden standzuhalten. Am Bug thronte der Drachenkopf, seine grimmigen Augen blickten hinaus in die Bucht. Er schien bereit, alles und jeden darin mit einem hungrigen Bissen zu verschlingen. 

Knutson folgte dem Blick des Drachen hinaus in die Weite, während er sein Schwert an einem Schleifstein wetzte. Das übliche Ritual, das er abhielt, bevor er zur See fuhr. 
Die Skiringssaler Klippen glühten rot im Abendlicht einer untergehenden Sonne, die ihnen den baldigen Sommer verkündete. Bald würde es selbst in der Nacht nicht mehr vollends dunkel werden. 
Ein warmer Wind strich sachte, fast zärtlich durch sein Haar und für einen Moment schien es Knutson so, als seien es die liebevollen Berührungen seiner einst geliebten Stjarna. Als wäre sie noch bei ihm. 
Verstohlen sah er sich um, hoffte nur für einen vergänglichen Moment einen Blick auf sie erhaschen zu können, doch niemand offenbarte sich ihm, bis ihm schließlich wieder einmal bewusst wurde, dass sie fortgegangen war. 
Die Geburt ihres ersten gemeinsamen Kindes hatte sie nicht überlebt.
Hela hatte sie mit sich genommen und dazu verdammt, bis an das Ende ihrer Tage in der Unterwelt zu verrotten. 
Leif, der Junge, den sie ihm einst schenkte, war mittlerweile acht Jahre alt. 
So lange ist es schon her? Knutson hielt für einen Moment inne und betrachtete das Schwert in seinen Händen. Noch ein bisschen. 
Schwarze Wolken hatte sie in seinem Kopf hinterlassen, undurchdringbar und schwer vor Bitterkeit. Und nicht einmal der flüchtige Kuss einer hübschen Frau wie Ylvie konnte diese lindern. Knutson spuckt aus. 
Ylvie. Dieser Name klang wie Gift in seinen Ohren. 
Alles in diesem Dorf drehte sich um die hübsche Tochter des Jarls und sie wiederum drehte sich um das gesamte Dorf. Das spürte Knutson in seinen kampferprobten Knochen. 
Aegir hat sich eine kleine Göttin ins Haus geholt. Und wie eine kleine Göttin hat sie ihn fallen lassen. Sie sind ja so wählerisch mit ihrer Gunst und wem sie diese zuteilwerden lassen.
Für einen Moment musste er schmunzeln, über seinen doch so törichten, ehemals besten Freund. 
Du kamst mit deinen Geheimnissen immer zu mir, eines dämlicher als das andere. Doch dieses Mal hast du dich selbst übertroffen, du elender Dummkopf!
Es musste ein ironischer Wink der Götter sein, dass sich Islavs bester Krieger, der einst noch der mächtige Riese genannt worden war, letztendlich als verkappter Denker und Schwarzmaler erwies.
Knutson wendete die Klinge und für einen Augenblick betrachtete er sein eigenes Abbild darin. Nun, da Aegir nicht mehr zur See fahren würde, stellte er den erfahrensten Kämpfer in Islavs Mannschaft dar. 
Endlich war seine Zeit gekommen. Zufrieden schob er das Schwert in die Scheide und erhob sich. Leif wartete vermutlich schon auf ihn.
Der Nordmann lächelte matt. 
Der Junge steckte voller Neugierde und Tatendrang. Er würde bald schon einen vortrefflichen Seefahrer abgeben. Besonders interessierten den Kleinen jedoch die Geschichten, die Knutson ihm mitbrachte, wenn er nach einem langen Tag heimkehrte. Geschichten über tapfere Helden, grimmige Riesen und furchteinflößende Seeschlangen. 
Knutson betrachtete sich selbst nicht als Geschichtenerzähler, wie es die Skalden waren. Jedoch erinnerte er sich gerne daran zurück, wie er noch in der Kinderstube gelegen hatte, mit dicken Fellen eingepackt, damit die Kälte nicht in seine Knochen dringen konnte, und den abenteuerlichen Geschichten seiner Mutter gelauscht hatte. Da der Junge seine eigene nie kennenlernen durfte, wollte Knutson ihm dennoch etwas von ihr mitgeben. Auch wenn es nur einen bescheidenen Ersatz darstellte. 

Er machte sich auf und stiefelte durch das Dorf. Auf seinem Weg begegneten ihm Yorrick und Snorri, die sich angeregt unterhielten. 
Der Nordmann grinste. Er erinnerte sich nur zu gut daran, wie aufregend der Abend vor seinem ersten Viking gewesen war. 
»Werden wir wirklich bis in die Flüsse vorstoßen?«, fragte Snorri mit einem begeisterten Funkeln in den Augen.
»Dafür sind die Schiffe zumindest ausgelegt«, begann Yorrick zu erzählen. »Ihr Tiefgang ist so gering, dass du selbst seichte Gewässer befahren kannst. Und Brücken sind auch kein Problem für die Boote. Aber möglicherweise brauchen wir gar nicht erst so weit zu segeln, um Beute zu machen. Es gibt viele kleine Inseln vor der Küste, die nur darauf warten von echten Nord geplündert zu werden. Stell du nur sicher, dass deine Axt schön scharf ist und diese Welt gehört dir.«
Snorri nickte eifrig. »Das werde ich«, gelobte er feierlich, dann bemerkte er Knutson und wandte sich zu ihm. »Ah, der Inseltöter. Mit der Zunge so schnell wie mit dem Schwert«, frotzelte er mit verschlagenem Grinsen. 
Eine Anspielung auf die Geschehnisse bei Islavs Bankett. 
Knutson knurrte wie ein Wachhund. »Dein Bruder hat sich mit diesem Weib wahrlich ins eigene Fleisch geschnitten. Sollen die Wölfe über seinen Entschluss heulen oder Freya, wenn sie merkt, dass er ihr vermutlich nie wieder ein Kind in den Bauch setzen wird. Was für ein Verlust für das Dorf.«
»Meine Herren, bitte. Es gibt keinen Grund für Streitigkeiten«, versuchte Yorrik zu beschwichtigen. Seine eisenharten Augen musterten sie streng. 
Prügeleien wurden vom Jarl stark geahndet, das wusste Knutson und genau da lag das Problem. Als Aegir ihn damals auf dem Bankett eine Abreibung verpasst hatte, schien es Islav nicht besonders zu interessieren. Wer mit der Tochter des Jarl vögelte, konnte sich also neuerdings alles erlauben. 
Knutson spuckte aus. »Wir werden noch sehen, was hinter deinem losen Mundwerk steckt, Snorri Naseweis. Axt und Schwert zählen auf der Fahrt mehr als freche Worte und von denen kennst du wahrlich zu viele. Irgendwann wird dir jemand dafür die Zunge herausschneiden, das solltest du besser beherzigen.«
Der junge Nord rollte mit den Augen. »Aber selbstverständlich, mein Hoher Vater«, witzelte er, doch dabei schien er es zu lassen. 
Knutson war sich im Klaren darüber, dass Snorri bestens wusste, wann er lieber seine vorlaute Klappe halten sollte. Er nickte Yorrik noch im Vorbeigehen zu, denn schließlich hatten sie lange auf demselben Schiff gedient, dann schritt er ungehindert zu seiner Hütte herüber. 

»Vater, bist du das?«, begrüßte ihn eine fröhliche Stimme. Und schon kam Leif um die Ecke geschossen, mit einem unbändigen Eifer in den blauen Augen. Der Knabe war kaum Drei-Käse-Hoch und doch hatte er etwas an sich, das Knutson tief in seinem Innersten berührte. 
Das hat er von seiner Mutter, diese entwaffnende Fröhlichkeit. Die Lebensfreude. Unwillkürlich musste er an seine verstorbene Frau denken, an ihre unverhofft kurze gemeinsame Zeit. 
Einen Sommer hielt ihre Liebe und es war der schönste Abschnitt in Knutsons bisherigem Leben gewesen. Er erinnerte sich daran, wie sie im eiskalten Wasser planschten, Beeren pflückten oder sich auf einer Lichtung liebten, die nur ihr gemeinsamer, geheimer Ort gewesen war. Fast kam ihm eine Träne. Aber vor seinem Sohn wollte er keinen Schwermut äußern, also zwang er sich zu einem Lächeln. »Willst du eine Geschichte hören, bevor wir schlafen gehen?« 
Die Aussicht darauf verlieh ihm etwas Zuversicht.
»Ja!«, rief der Knirps begeistert. »Erzähl mir wo die Riesen wohnen.«
»Na schön, dann ab ins Bett mit dir«, schmunzelte Knutson. Die Geschichte von den Riesen war auch seine liebste und im Laufe der Jahre konnte er sie immer aufregender erzählen.
Leif gehorchte so augenblicklich wie immer, wenn er eine Geschichte hören wollte, und kuschelte sich mit einem erwartungsvollen Blick in seine Felle.
Knutson setzte sich an das andere Ende des Bettes und überlegte für einen Moment, wo er anfangen sollte. »Am Anfang war das alles um uns herum nicht, es gab kein Leben in dieser Welt, nur Feuer und Eis. Ein uraltes Gleichgewicht, zwischen dem eine riesige Schlucht klaffte, die wir Ginnungagap nennen«, begann er mit ruhiger Stimme zu erzählen. 
»War das eine große Schlucht?«, erkundigte sich Leif neugierig.
»Sie war so tief, dass man von oben nicht den Boden gesehen hätte. Auf der einen Seite grollten die Gletscher aus Niflheim ihr uraltes Lied, die andere Seite stellte das tosende Feuer von Muspellr dar. Dort, wo sie sich küssten, tropfte das erste Wasser in die Klamm. Eiszapfen, groß wie ein Drachenboot, ragten in die Tiefe.«
»Aber wo kommt das ganze Eis her?«
»Du bist ein aufgeweckter Junge. Stjarna hätte das gefallen. Also gut, ich werde es dir erzählen, wie meine Mutter es mir erzählte. Tief im Lande Niflheim gibt es eine uralte Quelle von unheimlicher Macht. Wir Nordmänner nennen sie Hvergelmir. Sie speist alle Gewässer dieser Welt. Elf Flüsse strömen durch das eiskalte Land und gefrieren im Laufe der Zeitalter im Ginnungagap. Doch das Feuer brachte das Eis zum Schmelzen. Tropfen für Tropfen plätscherte es in die Tiefe und formte ein Wesen von entsetzlicher Größe. Den ersten Riesen, der den Namen Ymir trug.« Knutson schaute seinen Sohn eindringlich an, um ihm zu verdeutlichen, dass die eigentliche Geschichte nun erst begann. 
»Und er war ganz alleine?«, Leif verzog traurig das Gesicht. »Er tut mir Leid.«
Der Nordmann lächelte verschmitzt. »Wer sagt denn, dass er das war? Denn auch ein Riese braucht etwas, um in dieser Schlucht bestehen zu können. Er nährte sich am Euter Audhumlas, um zu überleben. Die Mutter allen Lebens gab ihm die Kraft, die er brauchte. Ymir ging es so gut, dass er unwillentlich Leben hervorbrachte, wenn er schlief. Er schwitzte so stark, dass aus seinen Achseln ein Mann und eine Frau hervorgingen, die irgendwann mal das sein sollten, was wir jetzt sind.«
»Heißt das, ich komme auch aus dem Körper eines Riesen?«, Leif zuckte entsetzt zusammen. 
Knutson tätschelte ihm lachend den Kopf. »Keine Sorge, mein Sohn, du kommst aus deiner Mutter. Sie schenkte dir das Leben. Und so wie sie dir das Leben schenkte, schenkte Audhumla unseren ersten Göttern das Leben, indem sie Búri aus dem Eis befreite. Drei Tage lang leckte sie am Eis und befreite dadurch seinen gigantischen Körper. Er war ein Mann von solcher Pracht und Schönheit, dass er nur etwas göttliches erschaffen konnte. Sein Sohn nahm eine Riesin zur Frau und zeugte mit ihr drei Kinder. Einer davon war Odin, der Vater unserer Götter.«
»Aber wieso steckte er im Eis fest? Ist das nicht viel zu kalt?«, fragte Leif aufgeregt. Seine strahlenden Augen musterten seinen Vater voller Neugierde. 
»Nun, auch er war ein Riese. Also konnte er es vermutlich überleben«, erklärte Knutson nachdenklich. Sein Sohn stellte Fragen, über deren Antwort er noch nie nachgedacht hatte.
»Also gab es schon Riesen, bevor es überhaupt Götter gab? Was haben die Götter mit den Riesen gemacht? Waren sie Freunde?«, es sprudelte nur so aus Leif heraus. 
»Mitnichten«, Knutson hob tadelnd den Finger. »Obwohl sie als erste Lebewesen die Welt erblickten, galten die Riesen seit jeher als böse und gefürchtet. Ihr Eis brachte den Tod, genauso wie ihr Feuer. Traue nie einem Riesen, wenn du einem begegnest. Es ist dein sicherer Untergang.«
Leif versprach es. »Was haben die Götter denn mit ihnen gemacht?«, wollte er wissen. 
»Odin und seine Brüder, Vili und Ve erschlugen Ymir, formten aus seinem Blut das Meer und aus seinem Leib die Welt. Die Flut ertränkte alle Eisriesen, bis auf Bergelmir, der nach Jötunheimr floh, ein Land der ewigen Schneestürme, um dort der neue Stammvater der Reifriesen zu werden. Und so gab Ymir sein Leben, um etwas Neues beginnen zu lassen.«
»Das ist interessant«, grübelte Leif gedankenversunken. »Also verdanken wir nicht nur den Göttern, sondern auch den Riesen unser Leben. Aber alle finden, dass sie böse sind. Sind wir dann auch böse?«
Dieser Gedanke machte Knutson stutzig. Er wusste nicht genau, was er darauf erwidern sollte. »Möglicherweise haben die Riesen uns etwas gegeben, das uns in etwas Böses verwandelt. Surt, der Herrscher des Feuers, wird am Ende aller Tage die Götter herausfordern und über sie richten. Aber die Götter bekämpfen die Bosheit, wohin sie nur kommen.« Er tippte Leif auf die Brust. »Da drin kämpfen sie für dich, damit du etwas Gutes sein kannst. Also ehre sie dafür.«
»Mache ich gewiss, Vater. Versprochen«, der Junge gähnte ausgiebig. 
»Und jetzt wird geschlafen, keine Widerrede«, Knutson strich Leif durch das weiche Haar und pustete die Kerze aus, die den Raum bisher in ein flackerndes Licht getaucht hatte.
»Vater?«, drang es ein letztes Mal aus der Dunkelheit.
»Ja, mein Sohn?«
»Komm bald wieder nach Hause.«
»Ich verspreche es dir, Leif.« Dann schloss er die Tür hinter sich. 

Die ganze Nacht wälzte sich Knutson im Bett hin und her. Ein großer Riese stampfte um das Haus herum und brachte es dadurch allein beinahe zum Einsturz. Ihrer grollenden Stimme nach zu urteilen, musste es sich um eine Frau handeln, die ihn zu rufen schien. Ihre Macht war grenzenlos und sie herrschte über den Tod. 
Er wusste dies mit ebenjener Gewissheit, die ihm verdeutlichte, dass er in einem Albtraum gefangen war. Eine unsagbare Bosheit kroch in sein Herz und lähmte es mit schwarzem Gift. 
Dann vernahm Knutson noch eine weitere Stimme, brüchig und schwach, kaum mehr als ein kratzender Klagelaut. Stjarna!
Plötzlich riss die Riesin mit einem unsagbaren Beben das Dach vom Haus. 
Knutson spürte sein Herz rasen, es pochte so stark, dass es aus seiner Brust zu brechen drohte. Ein panischer Angstschrei erstickte in seiner Kehle. Wo ist Leif? Ich muss ihn beschützen! 
Er konnte sich nicht rühren. Er war nicht in der Lage jemanden vor Unheil zu bewahren. 
Dachbalken stürzten ihm entgegen und krachten zu Boden. Dann bäumte sich die Riesin über dem Haus auf, die eine Hälfte ihres Gesicht bestand nur aus fauligem Fleisch, das ihr allmählich vom Körper fiel. Ein totes und ein lebendiges Auge durchbohrten Knutson mit einem anklagenden Blick. In der anderen Hälfte des Gesichts erkannte er Ylvie, die hübsche Tochter des Jarls. 
Hunderte schwarze Krähen bedeckten den Himmel und sangen ein schrilles Lied der Verdammnis. Blitze zuckten über das Firmament. 
Knutson konnte die Seelen der Toten seinen Namen rufen hören. Endlich wich der Schrei aus seiner Kehle, der ihm bisher verwehrt geblieben war. Das Leben wich mit seinem Odem aus seinem Körper, hinterließ nur eine leere Hülle. 
Dann tauchte sich alles in Schwarz. 

Knutson fuhr jäh aus dem Schlaf. Kalter Schweiß rann an seinem Rücken hinab wie Gletscherwasser. Er tastete nach seinem Schwert und horchte. Draußen blieb es totenstill. Er vernahm nur das eindringliche Pochen seines Herzens, das seine Brust durchfuhr wie ein Schmiedehammer. Keuchend ließ er sich wieder ins Bett fallen. Durch die winzige Luke, die im Sommer etwas frische Luft in das Haus transportierte, konnte er erkennen, dass bald die Sonne aufgehen würde. 
Vorsichtig schlüpfte er in seine Stiefel und schlich sich in das Zimmer seines Sohnes.
Leif schlummerte den friedlichen Traum eines Kindes. Er schmunzelte leicht im Schlaf. 
Immerhin er kann diese Nacht genießen. 
Während Knutson zur See fuhr, würde der Junge bei Yilma bleiben. Die Kammerdienerin besaß ein geschicktes Händchen für den Jungen.
Im Stillen verabschiedete er sich von seinem Sohn und schwor ihm, bald nach Hause zurückzukehren. Durch unsere Adern fließt das gleiche Blut. Du wirst deine Eltern ehren und sie stolz machen. So wie ich versuche, meinen Sohn stolz zu machen. 
Er schloss leise die Tür und trat an die Truhe, wo er seine Ausrüstung bereithielt. Einen Rundschild, in dessen Rückseite ein Dolch verborgen lag, ein Helm mit Schutz für Nase und Augen und einen Lederharnisch, der schon etliche Male geflickt worden war. Schwere Rüstung behinderte einen Nord ohnehin viel zu sehr, denn sie mussten schnell zuschlagen und dann wieder verschwinden. Weite Strecken in Metall gehüllt zu rennen, war für die wenigsten Krieger wirklich zu schaffen. 
Nachdem er sich seine Ausrüstung angelegt hatte, schritt er hinaus. Nebel lag über den Dächern und die frische Luft war angenehm kühl. 
Noch herrschte eine trügerische Ruhe im Dorf, das sollte sich aber mit dem Voranschreiten der Sonne ändern.

Knutson schritt zu den Anlegestellen, wo die Drachenboote ruhten. Als er feststellte, dass über Nacht drei weitere Boote dazugestoßen waren, mutmaßte er, dass es sich dabei nur um die Schiffe des Magnar handeln konnte, die mit ihnen segeln würden. 
Er erspähte Hjalmaer auf einem von ihnen, neben ihm stand ein deutlich kleinerer Soldat, dessen Gesicht durch einen Helm verdeckt wurde. Für einen Augenblick gedachte Knutson, etwas bekanntes darin erkannt zu haben, doch er wollte nicht starren. 
Er hob die Hand zum Gruße und der Sohn des Magnar erwiderte ihn kurz, bevor er mit seinem Kameraden unter Deck verschwand. 
»Ob wir ihre Hilfe wirklich brauchen? Ich hoffe Islav weiß, was er tut«, drang plötzlich eine nur zu vertraute Stimme an Knutsons Ohr. 
Dieser drehte sich ruckartig um. Das konnte doch nicht sein? »Was machst du hier? Ich dachte du hütest die Fische, bis wir wieder zurück sind?«, zischte er seinem ehemals besten Freund entgegen.
Aegir hatte sich ebenfalls in seine Rüstung gehüllt, die aus vernieteten Ketten bestand, welche an Armen und Beinen mit Lederbändern umwickelt waren. Seinen Kopf schützte ein eindrucksvoller Helm und auf seinem Rücken heftete die todbringende Dänenaxt, die er schon in etlichen Schlachten geschwungen hatte. Aegir war einer dieser Männer, die es fertigbrachten, auch gepanzert zu marschieren. 
»Es freut mich zu wissen, dass du meinen Beistand schätzt. Doch ich bin nicht hergekommen, um mit dir zu streiten«, erwiderte der Riese.
»Ach nein? Deine bloße Anwesenheit ist Grund genug für Streit. Hast du nicht in jener metschweren Nacht gestanden, dass du nie wieder Hand an einen Christen legen würdest? Hast du deine Meinung wieder geändert oder bist du ein Heuchler?«
Bevor Aegir etwas erwidern konnte, schritt Islav mit ausgebreiteten Händen auf den Platz. »Da ist er ja, mein Sohn der in der Schlacht geboren wurde. Es freut mich, den tödlichen Riesen wieder an meiner Seite zu wissen.« Er marschierte geradewegs zwischen die beiden. »Warst du schon an Deck der Gerri? Ein prächtiges Schiff, das muss man Yorrick lassen. Selbst Magnar scheint beeindruckt. Mit ihr zu segeln ist ein Privileg. Eines, das ich dir gerne erteilen möchte. Kraft meines Amtes wirst du Knutsons Platz als meine Rechte Hand einnehmen. Knutson, du wirst die Donnermaid befehligen. Das Schiff wird mit den jüngeren Kriegern besetzt, sowie einer Handvoll Männer aus Ustenström.«
Der Nordmann merkte, wie in diesem Moment etwas in ihm zerbrach. 
»Aber Herr, ich kenne diese Leute nicht einmal«, versuchte er etwas zu erwidern. Das war das kleinste Schiff der Flotte. Wollte Islav ihn demütigen? Oder hatte Aegir seine Finger im Spiel? 
Knutson begann zu zittern vor Wut und er merkte, wie an seiner Schläfe eine Ader zu pochen begann. Nur mit Mühe schluckte er Worte herunter, die ihm nur zu leicht über die Lippen gekommen wären. 
Für einen Augenblick wanderte seine Hand gedanklich zu seinem Schwert.
»Du wirst sie kennenlernen. Magnars Männer sind mutig und kampferprobt und ich brauche jemanden, der sie zu nehmen weiß.« Islavs Ton duldete keinen Widerspruch und immer mehr Männer fanden sich mittlerweile im Hafen ein. 
Ein Wutausbruch brächte wohl nur ungemütliche Konsequenzen mit sich. 
Knutson starrte Aegir mit einer blinden Bosheit an, dieser hatte einen undefinierbaren Gesichtsausdruck aufgesetzt. Fast so als quäle ihn etwas. 
Ich hoffe es frisst dich von innen auf, Freund.
Er verneigte sich steif vor dem Jarl und ließ sich entschuldigen. 

Die Donnermaid stellte das kleinste Schiff der Flotte dar, jede Seite bot Platz für fünfzehn Männer. Eine Kajüte gab es nicht. 
Als Knutson die Mannschaft in Empfang nahm, stellte er fest, dass er niemanden an Deck wirklich kannte, außer Snorri und fünf weiteren Jünglingen, die das erste Mal segelten. 
Der freche Bursche begrüßte ihn mit einem kecken Grinsen uns einem »Bereit wenn Ihr es seid, Kapitän.«
Und dann auch noch der. Thor vergelte es mir mit einem Blitz, wenn ich ihm nicht den Hals umdrehe!
Die restlichen Männer, die die Ruderbänke bemannen würden, stammten aus Ustenström. Derbe Kerle von harter Art und bis an die Zähne bewaffnet. Ob das gutgeht? Irgendwie bezweifelte Knutson das.
»Taue lösen, Segel bereitmachen, Ruderbänke bemannen!«, schrie er in alter Manier, während er zum Steuer trat, und seine Worte hallten wie ein Kriegsruf durch den Hafen. Zu seiner Überraschung gehorchten die Männer sofort. 
Dann löste sich die Donnermaid vom Steg und segelte, gemeinsam mit dem Rest der Flotte, aus der Skiringssaler Bucht heraus. Der Viking hatte begonnen!

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