Soldaten spielen nicht!

Allen unter euch, die auf den 5 Teil von „Die Wölfe von Asgard“ warten, kann ich schon einmal mitteilen, dass es vermutlich nächsten Donnerstag den neuen Teil geben wird 🙂
Solange möchte ich diese Kurzgeschichte mit euch teilen, die mir sehr ans Herz gewachsen ist. Viel Vergnügen beim Lesen!

Das morgendliche Licht brach durch die grauen Riesen, spiegelte sich in den großen Pfützen und den Tropfen des Morgentaus, auf das der zerstörte Hinterhof, der einst einen Teil seiner Heimat dargestellt hatte, erstrahlte wie ein Festsaal im Glanze der Kronleuchter.
Toki war gerne hier. Wenn die Sonne schien, konnte er vergessen, was vor oder hinter ihm lag.
Das Geräusch, das der Fußball aus Lumpen jedes Mal hinterließ, wenn er gegen die Wand der Ruine prallte, hatte etwas beruhigendes und ließ ihn die Explosionen, welche die Stadt Futuria in regelmäßigen Abständen erschütterten, beinahe vergessen. 
Er war jetzt sechs Jahre alt, ein Kind des Krieges, hatte nie etwas anderes erlebt, bis es zum Normalzustand geworden war.
Das einzige, wonach Toki sich sehnte, war ein Spielkamerad. Ein echter Freund, der gemeinsam mit ihm Ball spielen mochte. 
Die Tage konnten so schrecklich langweilig sein und wenn der Fliegeralarm ihn mal wieder dazu zwang, sich zu verstecken und die Hölle über ihn hereinbrach, gab es kein schlimmeres Gefühl, als die Einsamkeit.

Tock! Der Ball prallte abermals gegen die Mauer aus Stein, Toki hatte mittlerweile einen guten Schuss drauf, wie er fand. 
Der Lumpenfetzen segelte über ihn hinweg und landete in einem Gebüsch, eines der wenigen, das es noch wagte den beständigen Feuern in der Stadt zu trotzen. 
Der Junge rannte hinterher und kramte nach dem Ball, Dornen ritzten seine Arme auf, doch ohne dieses Stück Stoff hatte er nichts mehr zum Spielen. 
Mit einem Aufschrei zerrte er den Ball hervor, dieser rollte langsam auf die Straße. Die Luft über dem heißen Asphalt war schon am frühen Morgen schwummrig. 
Vorsichtig schlich Toki ihm nach, sah sich dabei kalkulierend um, damit niemand ihn erwischen konnte.

Aber eigentlich war seit ein paar Monaten schon niemand mehr hier gewesen. Er war allein. 
Wie auch an diesem Tage, so schien es ihm. Die großen Ruinen der Häuser ragten wie faule Zähne in einem morbiden Gebiss vor ihm auf, viele waren bereits eingestürzt und verlassen. 
Verlassen.
Toki erblickte den Ball, wie er hinter die Überreste eines Autowracks rollte. 
Der alte Landrover hatte die Bombeneinschläge nicht überstanden und war nur noch ein graues Abbild seiner selbst.
Der Junge erreichte das Fahrzeug ohne aufgehalten zu werden und kroch vorsichtig unter das Auto, damit er seinen geliebten Ball endlich wiederfand. Doch Anstelle eines Fußballs, erblickte er den gähnenden Lauf eines Gewehres, das auf ihn zielte.

Angst erfüllte jede Faser von Tokis Körper, der Anblick des Gewehres, das auf ihn zielte, lähmte in gänzlich. 
Er wollte noch nicht gehen, er hatte Angst davor. Auch wenn seine Eltern ihm verraten hatten, dass es der Weg zu einem besseren Ort war. 
Der Soldat, der es in seinen Händen hielt, blickte ihn ungläubig an, es war ein junger Mann, dem gerade erst der Bart wuchs. 
Aber seine grauen Augen waren hart wie Stahl, geprägt durch einen Krieg, der sein Leben geformt hatte.
„Mein Fußball….“, bibberte der kleine Junge und eine Träne rann seine Wange hinab. „Bitte, ich habe doch sonst nichts.“ 
Als der Soldat merkte, das er von dem Winzling keine Gefahr zu befürchten hatte, legte er sich das Gewehr um die Schulter. 
Toki griff sich blitzschnell seinen Ball und krabbelte unter dem Auto hervor. Also ist der Mann doch nicht böse. Endlose Erleichterung überkam ihn. Vielleicht hatte er ja endlich einen Spielkameraden gefunden?

„Magst du mit mir Ball spielen?“, fragte Toki zögerlich und hielt langsam seinen wertvollen Schatz in die Höhe. Der Mann winkte ab. 
„Ein Soldat spielt nicht, Junge. Das ist was für Kinder.“
„Musst du denn immer Soldat sein?“, fragte Toki neugierig. 
„Ja, ich muss jederzeit bereit sein, um mein Viertel zu verteidigen“, erwiderte der Mann scharf. 
Für eine Sekunde musste der Junge zu überlegen. „Das tut mir Leid“, sagte er dann, ohne auf das verdutzte Gesicht seines Gegenübers zu reagieren.
„Häh?“
„Nun, wenn ich immer etwas sein müsste, das mir verbietet ein Kind zu sein, wäre ich ganz schön traurig.“ 
Der Mann erstarrte.
„Wie heißt du Knirps eigentlich?“, fragte er dann und das erste Mal huschte ein Lächeln über sein Gesicht. 
„Toki und du?“
„Ich bin Rynn“, stellte der Mann sich vor. „Und zu welcher Seite gehörst du? Du hast doch hoffentlich nichts mit den Belias zu schaffen, oder? Sag mir, dass du ein Turak bist.“
Wieder überlegte Toki fieberhaft. „Ist das denn wichtig?“, fragte er.
„Natürlich! Für welche Seite kämpfst du?“
„Ich möchte für beide Seiten sein“, lächelte Toki.
„Sag mal spinnst du? Das geht unmöglich!“, schimpfte Rynn und sein Gesicht versprühte Funken des Zorns.
„Warum? Es muss sich doch einfach nur jemand trauen, den Anfang zu machen“, erwiderte der Junge strahlend. 
Der Soldat schien verdutzt darüber nachzudenken. Dann erhob er sich. 
„Ich muss jetzt los, aber ich bin öfters hier, vielleicht sehen wir uns ja mal, Toki.“ Er winkte zum Abschied .
„Und dann spielen wir Ball“, grinste der Junge. Rynn war wirklich nett.

Am nächsten Tag erspähte Toki den Soldaten, wie er an einer Mauer gelehnt die Straße beobachtete. 
„Spielen wir heute Ball?“, fragte er gespannt. Er wollte doch nur ein bisschen spielen.
„Nichts da!“, blaffte Rynn und verzog das Gesicht. „Ein Soldat spielt nicht!“
„Warum bist du denn Soldat geworden?“, erkundigte sich der Junge, während er seinen Ball gegen die Mauer pölte. 
„Um mein kleine Schwester zu verteidigen. Ich muss immer bereit sein, das Gewehr immer scharf halten. Denn wer weiß schon, was kommt?“ Als er bemerkte, das Toki wieder angestrengt nachdachte, fügte er noch hinzu: „Du heckst doch schon wieder etwas aus?“
„Naja“, erwiderte der Junge nachdenklich. „Würde Frieden sie nicht besser beschützen, als ein Gewehr?“
Rynn zögerte ob seiner Antwort. „Du… hast Recht“, antwortete er zähneknirschend. „Aber manchmal ist das Gewehr der einzige Weg zum Frieden. Wir lassen uns nicht unterkriegen, denn es wird immer böses geben, gegen das man kämpfen muss.“ 
Stumm bearbeitete Toki sein Spielzeug. Er ist sehr traurig, wurde ihm klar. Ansonsten würde er nicht so denken.

Am folgenden Morgen war Toki schon früh auf, er hatte unruhig geschlafen. Wieder und wieder waren Bomben in der Ferne detoniert. 
Der Krieg war allgegenwärtig und mit ihm die Angst, den nächsten Morgen nicht mehr erleben zu dürfen.
Rynn erwartete ihn bereits, seine Miene war eine Maske der Furcht. „Sie ist fort. Sie haben sie mir genommen“, der junge Mann kämpfte mit den Tränen und verlor. Er sackte auf die Knie. „Meine Schwester ist fort.“
Eine tiefe Traurigkeit berührte Toki dort, wo sein Herz war. „Es tut mir Leid“, nuschelte er, er wusste nicht ganz, was er diesem Mann sagen sollte.
„Ich habe meine Eltern verloren, als ich noch ganz klein war“, gestand Toki und auch ihm kam eine Träne. „Aber ich glaube, es geht ihnen gut“, er lächelte matt.
Rynn raffte sich auf. „Hier geht es niemandem gut, Kleiner“, spukte er aus. 
Wieder musste Toki lächeln. „Hier nicht. Aber sie sind ja woanders.“
Als er merkte, dass es dem Soldaten die Sprache verschlagen hatte, ging er auf ihn zu und ergriff seine Hand. „Wir dürfen uns nicht fürchten. Wir müssen mutig sein“, sagte er, denn er war es seit sechs Jahren. 
„Aber mutig sein heißt auch, sich erlauben zu trauern“, erwiderte Rynn niedergeschlagen. 
„Du hast Recht, glaube ich“, antwortete der Junge und setzte sich neben den Soldaten. „Dann lass uns zusammen mutig sein.“

Der darauffolgende Tag brachte einen trüben Nebel mit sich, der sich wie die Silhouetten von Geistern stumm durch die Straßen schlängelte. 
Doch auch am heutigen Tage trafen sich Toki und Rynn im Hinterhof.
„Spielen wir heute Ball?“, fragte Toki. Er konnte es nicht mehr ertragen alleine zu spielen.
Der Mann blickte auf. „Nun gut, aber nur kurz. Wir müssen aufpassen“, sagte er vorsichtig und griff sich den Ball. 
Gemeinsam tollten sie durch den Hinterhof und Toki hatte noch nie so viel Spaß gehabt, wie in diesem Moment. Kann das für immer sein?, fragte er sich nachdenklich. 

Plötzlich landete etwas mit hartem Knall neben ihm, eine tickende Granate kullerte über den asphaltierten Boden.
„RUNTER!“, schrie Rynn und warf den Jungen zu Boden.
Die Explosion, die sie erschütterte, tauchte alles in ein glänzendes Weiß. 
Toki erblickte das Gesicht von seinem neuen Freund, den er soeben verloren hatte. 
„Danke“, hauchte Rynn schwach, sämtliche Lebensgeister verließen seinen entstellten Körper. Blut sickerte aus seinem Mund und formte rote Rosen auf dem Asphalt. „Danke, dass ich noch einmal Kind sein durfte.“ 
Dann wurde langsam alles in ein schwarzes Kleid gehüllt. Toki merkte, wie er zitterte. Es war nicht einmal mehr Schmerz da, der ihn erfüllte. Nur die Leere. „Soldaten spielen nicht“, ächzte er, dann war es mit ihm vorbei.

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