Tosteki

Ein Liebesbrief von Luziferito

Liebe Ella,

es war kein Zufall, dass wir uns im ‚Tosteki‘ trafen, das Schicksal hat uns endlich zusammengeführt. Seit vielen Jahren teilen wir unser Faible für Kreta und die kretische Kultur. Waren unzählige Male dort und sind uns doch nie begegnet.

Seit dem gestrigen Abend bin ich wie verzaubert. Schon auf dem Heimweg machte sich in meinem Gesicht ein peinliches Dauergrinsen bemerkbar. Ich hatte den Eindruck, dass die Leute in der U-Bahn meinem Blick irritiert auswichen. Ein Angetrunkener pöbelte mich sogar an und wollte wissen, warum ich ihn ständig so dämlich angrinsen würde. Als ich ihm freundlich einen guten Abend wünschte und weiter anlächelte, trollte er sich kopfschüttelnd.
Die letzten Meter zu Fuß schien ich dann zu schweben, und das lag sicher nicht am Wein und den beiden Gläsern Metaxa, die wir zuletzt noch zum Abschied getrunken haben.


Zuhause angekommen, legte ich passend zum Abend die Platte Zorba The Greek von Mikis Theodorakis auf und begann zu tanzen – mit Dir (leider nur in meiner Vorstellung). Ich drehte die Lautstärke fast bis zum Anschlag. Erst das Hämmern von Frau Wegmann an die Wohnungstür machte dem Spuk ein Ende. Okay, es war schon halb zwei – meine Nachbarin musste am nächsten Morgen früh raus, ich konnte ihren Ärger verstehen.

Ich ging zu Bett, konnte aber einfach nicht einschlafen. Die Bilder und sinnlichen Eindrücke von unserem wunderschönen Abend im ‚Tosteki‘ liefen wie in einer Endlosschleife vor meinem inneren Auge ab. Ich sah das Feuer der Begeisterung in Deinen schönen, braunen Augen, als du von ‚Picilia‘ erzähltest, Dein anmutig lauschendes Gesicht beim Zuhören, den schimmernden Glanz Deines rotbraunen Haars im Widerschein des Kerzenlichts, hörte den warmen Klang Deiner Stimme und Dein bezaubernd heiteres Lachen. Wie weich sich Deine Schulter anfühlte, wie mich unsere Berührungen beim Tanzen in eine Art Trance versetzten, wie sollte ich da einschlafen können? Ich stand wieder auf und machte mir einen Kamillentee zur Beruhigung. Dann rief ich meinen Freund Jens an, ich musste mit jemand reden. War wohl keine gute Idee, er war ’not amused‘ und kündigte mir beinahe die Freundschaft auf – naja, es war halb drei und Jens muss heute wieder früh zur Arbeit.

Nach ein paar Stunden Schlaf bin ich wieder aufgewacht und alles ist noch viel schlimmer. Mein Frühstück verlief völlig chaotisch. Dass ich das Frühstücksei viel zu lange kochte, war nicht weiter tragisch, aber der Biss in das halbe Brötchen mit Marmelade, das ich zuvor mit Leberwurst bestrichen hatte, schmeckte doch etwas eklig. Dass ich dabei vor Schreck auch noch die Tasse mit dem Kaffee umschmiss, verwunderte mich nicht weiter. Statt zu fluchen und zu schimpfen, habe ich lauthals losgelacht. Das ist das Bedenkliche an meiner Verfassung.

Bisher empfand ich all die poetischen Formulierungen, mit denen man den Zustand des Verliebtseins gerne beschreibt – auf Wolke Sieben schweben, Schmetterlinge im Bauch haben oder verrückt vor Liebe sein – eher als Übertreibungen. Nun muss ich meine Meinung wohl korrigieren. Unsere gestrige Begegnung lässt mich diesen Rausch gerade zum ersten Mal erleben. Ja, ich schwebe, die Schmetterlinge im Bauch flattern wie wild und ich bin sowas von verrückt. Ich fahre in einem Karussell, mein Denken und die Welt dreht sich nur noch um Dich, Ella. Ich musste 36 Jahre alt werden, um das endlich erleben zu dürfen.

Als ich Dich vom ‚Tosteki‘ noch bis zur Haustür begleitete und Dich zum Abschied küsste, durchströmte mich ein zuvor nie gekanntes Glücksgefühl. Und ich glaubte in Deinen wunderschönen Augen zu lesen, dass es Dir ganz genauso erging. Ich hoffe sehr, es war so.

Entschuldige bitte, dass ich Dir meine Gefühle so offen schildere. Vielleicht wirkt dies abschreckend auf dich und Du ziehst Dich deshalb zurück. Ich gehe dieses Risiko ein, weil ich nicht anders kann. Es ist nicht schwer, Dir den Grund für meine Offenheit zu erklären. Du bist heute Morgen nach La Rochelle abgereist. Die Vorstellung, drei Wochen auf Deine Rückkehr warten zu müssen, ist mir unerträglich. Ich weiß nicht, wie ich das aushalten soll. Ich habe mich unsterblich in Dich verliebt, und wenn mir meine Verliebtheit keinen bösen Streich in der Wahrnehmung spielt, bist Du das auch. Bitte komm bald zurück, brich den Urlaub bei Katrin vorzeitig ab. Ich will das, was gestern Abend begann, fortsetzen – lass uns unser gemeinsames Glück beim Schopf packen – ohne langen Aufschub. Ich sehne mich nach Dir und kann es kaum erwarten, Dich wirklich kennenzulernen. Ich bin mir sicher, Deine Freundin wird es verstehen, wenn Du nicht lange bleibst.
Wie gern würde ich mit Dir schon nächste Woche nach Kreta fliegen, vielleicht nach ‚Picilia‘, in Dein Dorf. Ich hätte Zeit. Willst Du? Sag Ja! Komm zurück, ich sehne mich so nach Dir. Isch ‚abe mein ‚erz an Disch verloren, chère Ella!

Wie auch immer Du Dich entscheiden wirst, ich wünsche Dir eine schöne Zeit in La Rochelle – schönes Wetter, leckere Baguettes, Meeresrauschen und lass Dich von Deiner Freundin Katrin verwöhnen.

Dein vor lauter Liebe verrückter
Daniel

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