Über den Tod hinaus

Ein Liebesbrief von InEs

Lieber Vati!

Wärest Du 40 Lenze früher geboren oder ich vierzig Jahre später und wären wir uns tatsächlich irgendwo und irgendwann einmal zufällig begegnet, so hätte ich um Deine Hand angehalten, wenn das damals auch noch nicht so üblich war.
Du hättest heute auf den Tag genau Deinen 100. Geburtstag. Zweiundneunzig bist Du zumindest geworden, Du hast somit ein gesegnetes Alter erreicht.
Außer Dir gab es in meinem Leben noch keinen, der so lieb, freundlich, anständig, geduldig, anspruchslos, selbstlos, aufopfernd, vertrauenswürdig und witzig war wie Du. Deine Bescheidenheit nicht zu vergessen. Es gab nie ein böses Wort von Dir. Warst Du einmal über etwas grantig, so brummeltest Du es Dir lieber in den eigenen Bart. Als Familienoberhaupt hast Du Dich vollkommen bewährt, wenn man auch den Eindruck von Dir hatte, Du seiest zu weich und empfindsam. Dies warst Du nie bei Dir selber, hast nicht gejammert, trotz Deiner Kriegsverletzung, die Dich Dein ganzes Leben einschränkte und Dir Schmerzen bereitete. Gejammert hast Du nur, wenn einer von uns krank wurde oder jemand anderes litt, den Du gut kanntest. Ich kann mich gut daran erinnern, wenn Dich jemand zum Beispiel nach Deiner schwerkranken Frau fragte, dass Du Deine Tränen nicht zurückhalten konntest, so sehr schmerzte es Dich, nicht helfen zu können. Der Kelch ging an Dir vorüber, ihr konntet noch gemeinsam die Diamantene feiern. –
Ich liebe Dich über den Tod hinaus. Danke, dass es Dich gab! Danke für Deine Fürsorge und Liebe. Du warst mein Vati, Tröster in all meinen Lebenslagen, Helfer in der Not. Auf Dich war immer Verlass! Ich möchte Dir danken, dass Du mich an Kindes statt genommen hast und dabei keinen Unterschied machtest zwischen mir und Deinen Kindern. Für mich bist Du ein Heiliger.
Dieser Brief musste jetzt an Deinem Geburtstag sein; den lege ich zu den Blümchen auf Deinem Grab.

In ewiger Liebe und Treue
Deine Lotte.

3 Replies to “Über den Tod hinaus”

  1. Das ist eine sehr schöne Form der Liebe, die du hier beschreibst. Das Kind, das selbst nach so langer Lebenszeit und eigenen Erfahrungen noch so dankbar und liebevoll an das Familienoberhaupt zurück denken kann, hat wohl eine glückliche Kindheit genossen mit andauernder bindender Liebe. Deshalb rührt mich dein Brief auch so stark, der Vati von Lotte hat wohl alles Elementare richtig gemacht: er hat ehrlich geliebt. Sehr schöne Idee und sehr gefühlvoll ausgedrückt :).

  2. Das ist herzlich und verliebt. Ich wäre sehr glücklich, könnte ich meinen Lieben so viel geben, dass sie auch mich im dieser Erinnerung behalten.
    Ich kann auf ein gutes und glückliches Leben blicken. Ich freue mich auf alles was da noch kommen wird.

  3. Ein herzliches Dankeschön an Saigel und Andre Marto für Euer Feedback.

    Bin ziemlich spät dran und möchte meinen ersten Satz berichtigen. Wie oft ich da drüber gestolpert bin ohne den Fehler zu bemerken, kann ich nicht sagen.

    Wärest Du 40 Lenze “später!“ geboren oder ich vierzig Jahre “früher!“ und wären wir uns tatsächlich irgendwo und irgendwann einmal zufällig begegnet, so hätte ich um Deine Hand angehalten, wenn das damals auch noch nicht so üblich war.

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