Voidcall: Das Rufen der Leere – Kapitel 6: Das psionische Kollektiv


Archweyll war zutiefst beunruhigt. Howard Bering zu verängstigen war in der Regel ebenso unmöglich wie einen Hund das Alphabet heulen zu lassen. Doch nun lag Furcht in der Stimme des Chefmechanikers und sein Blick wanderte hektisch durch den Raum, während er ihnen mitteilte, was vor sich gegangen war. „Durch meine Verbindung mit dem Dunklen Engel ist es mir möglich gewesen, einen kurzen Einblick in ihr kollektives Bewusstsein zu erlangen. Doch sofort wollte mich etwas zu sich locken, meinen Verstand rauben und als sabbernder Köter zurücklassen“, erklärte Howard nervös.
„Als wäre er das noch nicht vorher gewesen“, flüsterte Tamara abfallend in Archweylls Ohr.
Doch dieser konnte sich kein Lachen abgewinnen. „Erkläre uns, was du gesehen hast“, verlangte der Kommandant zu wissen.
„Leid, Tot und Wahnsinn“, Howard Berings Miene verzog sich zu einer schiefen Grimasse. „Mir ist es lediglich gelungen in einen winzigen Teil ihres Kollektivs vorzustoßen, nämlich zu dem dieser Raumstation. Alles andere hätte meinen Verstand schneller schmelzen lassen, als Butter vor dem Angesicht einer Supernova. Die Pilzsporen enthalten Substanzen, die parasitäre Lebensformen beinhalten. Wenn sie sich erst einmal an einen Wirt geheftet haben, übernehmen sie die Kontrolle über ihn, bis er so endet, wie unser lieber Freund hier“, der Chefmechaniker stieß mit der Fußspitze nach dem Leichnam des Engels, „und möglicherweise liegt darin eine viel größere Gefahr, als wir bisher annahmen.“
„Spuks‘ schon aus“, knurrte Archweyll verdrießlich. Er hatte keine Lust unnötige Zeit mit wirrem Geplapper zu vergeuden. Es gab ein Problem zu eliminieren.
„Das psionische Kollektiv der Dunklen Engel ist unser wahres Problem“, erklärte Howard mit erhobenem Finger. „Der Pilz hat ihnen ungewollt den Tod gebracht und dadurch die gemeinsame geistige Verbindung der Dunklen Engel schwer geschädigt, indem er sie mit Schmerz, Wut und Verzweiflung genährt hat. Gefühle, welche die Dunklen Engel nicht besitzen oder verarbeiten können. Ihr massenhaftes Leiden hat unbewusst eine höhere Macht angelockt.“ Howards Miene verfinsterte sich. „Ich habe gelesen, von diesen Bestien aus der Dunkelheit des Warps. Sie fühlen sich angezogen von großer Verzweiflung, von Hass und von Wahnsinn. Archweyll, ich befürchte wir könnten es hier mit einem Xulthaquep zu tun haben. Einem höheren Dämonen der Leere. “
Der Kommandant konnte nicht glauben, was er da hörte. Es gab viele Gruselgeschichten, die er in seiner langen Dienstzeit an Deck von Kameraden erzählt bekommen hatte, doch er hatte sie immer belächelt. Aber die föderalen Akademien hatten die Existenz von solchen Dämonen mittlerweile belegen können und während seiner Ausbildung zum Kommandanten wurde er über die potentiellen Feinde außerhalb ihres Einflussbereichs durchaus in Kenntnis gesetzt. Einem Xulthaquep zu begegnen, endete in der Regel mit einem schlimmeren Schicksal als dem Grab. Diese undefinierbaren Wesen ergötzten sich am Leid und würden es solange aufrecht erhalten, bis man verzweifelt um Erlösung durch den Tod flehte. Außerdem besaßen sie psionische Kräfte, die ihre Opfer an den Rand des Wahnsinns stürzen konnten.
„Wie können wir ihn aufhalten?“, fragte Tamara kämpferisch. Sie war sofort in ihrem Element.
Howard setzte ein grausames Lachen auf. „Versuche es ruhig. Niemand wird um deinen Tod trauern, Weib.“
Die Spähtruppführerin richtete ohne zu zögern ihr Induktionsgewehr auf seine Brust. „Der Tag wird kommen, wo dein Nutzen versagt. An diesem Tag werde ich da sein, verlass dich drauf“, sagte sie und ihre Stimme glich dem Frost einer kristallklaren Winternacht.
Der Chefmechaniker zuckte mit den Achseln. „Und wenn schon“, gab er beiläufig ab.
„Genug ihr zwei!“, brüllte Archweyll genervt. „Ich bekomme Kopfschmerzen von eurem Kindergeplärre!“ Sein plötzlicher Wutausbruch hatte seine Wirkung nicht verfehlt.
Tamara senkte ihr Gewehr und trat zurück.
Howard Bering war nicht so bemüht, aber auch er schien es bei diesem Schlagabtausch zu belassen.
„Aber wie ist der Pilz überhaupt an Bord gelangt? Und warum haben die Engel in nicht sofort beseitigt?“, grübelte der Kommandant nachdenklich. „Diese Frage kann ich dir leider nicht beantworten. Wir sollten uns auf die essentielle Diskrepanz fokussieren“, winkte Bering ab.
„Unsere Mission ist es nicht, den Dämon zu besiegen, sondern die molekulare Verzerrung zu eliminieren“, erklärte Archweyll sachlich. „Wenn das bedeutet, dass wir dafür an dem Xulthaquep vorbei müssen, dann sei es so. Da draußen warten fast 10.000 Menschen auf unsere Rückkehr. Heute werden wir sie nicht enttäuschen.“
Leiser Jubel kam auf, der schneller verebbte als ein Kiesel im Treibsand. Die Gesichter der Mannschaft spiegelten Furcht und Ungewissheit wieder.
Nur Tamaras Augen glühten vor Entschlossenheit.
„Howard, meinst du es gibt hier immer noch Überlebende? Dein Scan hat sich scheinbar getäuscht. Sonst hättest du die Pilze und unseren Freund hier schließlich entdeckt, oder nicht?“, fragte der Kommandant.
„Ich bin mir nicht sicher“, grübelte der Chefmechaniker. „Möglicherweise ist nur noch der mechanische Teil des Dunklen Engels aktiv gewesen. Und ich habe lediglich nach Impulsen, wie zum Beispiel Herzschlägen Ausschau gehalten. Mehr Zeit habe ich nicht gehabt.“
„Mal wieder eine vage Aussage von dir. Ich hätte es besser wissen müssen“, spukte Archweyll aus. Langsam aber sicher verlor Bering seine Fürsprache. Wenn das so weiter ging, würden ernsthafte Konsequenzen drohen.
„Wir werden weder den Dämon vertreiben, noch jeden einzelnen Dunklen Engel auf dieser Station eliminieren können, um ihr geistiges Kollektiv zum Verstummen zu bringen“, begann der Kommandant seine Ansprache an die Gruppe. Es musste ein Plan her und zwar schnell. Jede Sekunde, die sie länger an Bord dieser Raumstation verbrachten, rückte sie näher an den Tod heran. „Daher sage ich wir dringen zum Herz des Raumschiffes durch, vernichten alles, was sich uns in den Weg stellt, und zerstören den Ursprung der molekularen Verzerrung. Dann fliehen wir zurück zur Atharymn und verschwinden von hier.“ Archweyll blickte in die Runde. Seine Männer starrten ihn entsetzt an. Keiner rührte sich vom Fleck, als wäre der Moment eingefroren.
„Was ist denn in euch gefahren? Ihr macht mich ja ganz verlegen“, spottete der Kommandant, bis er feststellte, dass etwas nicht zu stimmen schien. Niemand reagierte auf seine Frage. Er sah an sich herab, konnte aber nichts ungewöhnliches feststellen. Langsam wurde Archweyll unbehaglich.
Noch immer wirkten seine einstigen Kameraden so, als wären sie leblose, in Stein gemeißelte Statuen.
„Tamara?“, schluckte er.
Die Spähtruppführerin blickte ihn aus leblosen Augen an. Ihr Feuer war erloschen. Was war hier nur los?
Das unbehagliche Gefühl wich einer unsagbaren Kälte, die sich an seine Brust heftete. Er verspürte Angst. Nichts als pure Angst. Träumte er? Hatte er nicht gerade noch eine Ansprache gehalten?
„Kann mich jemand hören? Irgendwer?!“, er schrie fast. Nur der unrhythmische Schlag seines rasenden Herzens antwortete ihm. Archweyll kämpfte gegen die Panik an. Er wollte loslaufen, seinen Kameraden um jeden Preis beistehen, doch seine Bewegungen waren schwerfällig, als wäre er an bleierne Kugeln gekettet. Er kam sich schwach und nutzlos vor. So schwach. Plötzlich ertönte aus undefinierbarer Ferne ein sadistisches Kichern.
Du hast sie alle in den Tod gelockt.
Bilder von unaussprechlichen Gräueltaten schossen durch Archweylls Kopf. In Gedanken watete er über einen Berg aus Leichen, der mittlerweile eine groteske Einheit verdorbenen Fleisches angenommen hatte. Röhrende Maschinen, mit sirrenden Greifern, machten sich an ihnen zu schaffen und verbanden sie mit Hydraulikschläuchen. Ein schriller Schrei ertönte. Archweyll fragte sich bestürzt, woher er kam, bis er feststellte, dass es ein eigener war.
Ein Kunstwerk. Welch liebsäuselnde Melodie. Dein Leid ist nahe der Perfektion. Beneidenswert. Die Stimme in seinem Kopf klang, als würden zwei rostige Klingen übereinander schaben.
Noch einmal schrie der Kommandant aus voller Kehle. Er wollte nur noch weg von hier. Gleich hatten die Maschinen ihn erreicht. Das surrende Klacken ihrer Greifer kam immer näher. Gleich würde er das Kunstwerk vollenden. „Nein!“, brüllte Archweyll aus vollem Hals, doch jede Gegenwehr war zwecklos. Jetzt war alles zu spät. Das Leid hatte ihn eingeholt.

Schwer atmend riss er den Kopf in den Nacken. Er war wieder in dem Raum, mit der riesigen Fensterfront, in welchem sich sein Einsatzkommando zuletzt befunden hatte. Er war nassgeschwitzt und sein Herz drohte sich zu überschlagen. Zitternd richtete Archweyll sich auf, er musste auf dem Boden zusammengeklappt sein. Ein Albtraum? Plötzlich bemerkte der Kommandant, dass sich außer ihm niemand in dem Raum befand. Eine üble Gewissheit überkam ihn. Er war alleine. Aber sie konnten ihn doch nicht einfach hier zurücklassen? Das hätte Tamara niemals zugelassen. Es sei denn, sie war…
Archweyll wollte den Gedanken nicht zu Ende denken. Wieder schossen ihm die Bilder seines Albtraums durch den Kopf und er verspürte eine flaue Übelkeit in seiner Magengrube. Was war passiert? Er wollte rufen, doch jeder Laut erstickte in seiner Kehle. Sein Hals fühlte sich trocken an. Erneut überkam ihn die Panik. Langsam wurde ihm schwindelig und erneut sank er zu Boden, als würde eine fremde Macht ihn ohne mit der Wimper zu zucken auf die Knie zwingen.
So schwach. Diese Agonie grenzt an Vollkommenheit. Fast schon egoistisch, dass du sie nicht teilen willst.
„Wer bist du?“, wollte Archweyll schreien, doch er zitterte so stark, dass er nur noch ein jämmerliches Wimmern zustande brachte. Die Angst hielt ihn fest umklammert und wollte ihn nicht mehr loslassen. Sein Blick ging zu der riesigen Fensterfront, die vor wenigen Momenten noch einen sehnsüchtigen Blick auf die Atharymn zugelassen hatte. Nun hatte sich ein schwarzer Belag darauf angeheftet, wie an einem faulen Zahn.
Ich bin der Erlöser. Dein Heiland. Das frohlockende Glück. Flieh vor einem grauen Leben, in die wollüstigen Arme der Agonie. Denn nur im Schmerz, findet sich Wahrheit. Die Stimme aus Archweyll Kopf hinterließ einen kreischenden Schmerz zwischen seinen Schläfen, der zu einem unerträglichen Getöse anschwoll.
Langsam merkte der Kommandant, wie etwas in ihm zerbrach. „Aufhören! Ich flehe dich an, hör endlich auf!“, kreischte er, doch der Schmerz nahm unerbittlich zu. Tränen der Angst erfüllten seine Wangen und er wandte sich am Boden wie ein tollwütiges Tier. Plötzlich vernahm er Stimmen. „Arch! Arch! Hörst du mich? Steh auf!“
Eine weitere Welle von Schmerzen erschütterte den Kommandanten, als wolle ihn irgendwer dafür bestrafen, dass er sie zugelassen hatte. Sein Aufschrei verdrängte die Stimmen.
Sie sind fort. Du gehörst mir.
„Er kollabiert! Schockstoß einleiten, sofort!“, wieder ertönten diese Stimmen. Warum nur kamen sie ihm so vertraut vor? Auf einmal ging ein Ruck durch seinen Körper. Dann noch einer. Als wolle etwas sein Inneres gewaltvoll nach Außen zehren. Gequält schrie er auf, ließ es zu, dass ihn all sein Leiden in einem abstrakten Aufschrei verließ. Archweyll bemerkte, wie sich Risse auf den Fenstern bildeten. Die Erschütterungen nahmen an
Intensität zu.
„Noch einmal. Wir verlieren ihn!“ War das Tamara?
Er konnte es nicht genau feststellen. Der Schmerz nahm in zu sehr für sich ein. Was zur Hölle war hier los? Es war ihm egal. Solange die Höllenqualen endlich enden würden, war alles andere nebensächlich.
Nur das Leid wird bleiben.
Noch ein Stoß durchfuhr Archweylls Körper wie ein Blitzschlag. Er brachte nur noch ein Heulen zustande. Sein Körper zerbrach. Durch die Macht des Schlages riss die Fensterkuppel endgültig. Mit einem kreischenden Aufschrei flogen die Glassplitter wie kristallklare Projektile durch den Raum. Explosionsartig erfüllte das Vakuum des Warp die Raumstation, verschluckte sie, wie einen Gaumenschmaus. Alles schien wie in Zeitlupe zu passieren. Sämtliche Luft wurde aus seinen Lungen gepresst und eine eisige Kälte ließ seine Glieder gefrieren. Archweyll konnte noch nicht einmal schreien. Der Schmerz wurde unaushaltbar. Sein Blut kochte in den Adern und das Wasser auf seiner Zunge verdampfte. Dann riss ihn etwas mit sich in die Leere und alles wurde in Dunkelheit gehüllt. Binnen Sekunden war er ins Vergessen eingetaucht.

Sein Erwachen war wie ein Schlag ins Gesicht. Unzählige Gesichter waren über ihn gebeugt, das Leuchten einer elektronischen Lampe blendete ihn. Sofort machte sich ein dumpfes Pochen in seinem Kopf bemerkbar, der jedoch in keiner Relation zu den vorherigen Schmerzen stand.
„Er ist wach“, stellte jemand fest.
Irritiert blickte Archweyll sich um. Ein grauer Schleier trübte seinen Blick und es schien ihm so, als würde er die Personen nur durch eine Scheibe trüben Glases wahrnehmen. Um ihn herum waren etliche Gesichter, die ihm bekannt vorkamen.
Tamara beugte sich über ihn. Ihre Hände schüttelten ihn aus den Grundfesten. „Arch…Arch!“, schrie sie ihn an. Es klang weit entfernt.
„Er kommt zurück“, erklärte eine zweite Stimme.
Irritiert blickte Archweyll sich um. Die Fensterfront war völlig intakt. Er hatte halluziniert. Der Xulthaquep, schoss es ihm durch den Kopf. Er ist wirklich hier. Dieser Gedanke holte ihn in die Realität zurück.
„Arch, was zur Hölle treibst du da?“, wetterte die Spähtruppführerin erbost. „Glaubst du das ist witzig? Du bist einfach zusammengebrochen und hattest einen Anfall. Was ist passiert?“
„Ich glaube, ich habe gerade etwas erkannt“, murmelte der Kommandant. „Helft ihm erst einmal hoch“, die zweite Stimme gehörte also Howard Bering.
Zwei kräftige Hände zogen den Kommandanten auf die Beine.
Schwer atmend richtete er sich auf. Sein Wahntraum machte sich nach wie vor bemerkbar und ihm war noch leicht schwindelig.
„Was hast du erkannt?“, fragte Tamara stirnrunzelnd.
„Das wir besser verdammt schnell unsere Mission erledigen sollten“, keuchte der Kommandant. „Unser Feind ist mächtig und er kommt direkt auf uns zu.“

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