Wenn die Muse Sommerurlaub macht

Letzte Woche ist sie gefahren, nach Teneriffa zum Wandern und zum Baden. Natürlich gönne ich ihr die Erholung. Ich bin ja wirklich nicht immer einfach.  Andere Autoren setzen sich täglich zur selben Zeit an ihre Texte. Das kann ich nicht. Meine Muse muss da sein, wenn ich Lust zum Schreiben habe, egal zu welcher Uhrzeit. Und das tut sie auch, sie hat mich noch nie versetzt.

Bevor sie abfuhr, hat sie mir noch ein paar Ideen da gelassen. Damit ich nicht aus der Übung komme, hat sie gesagt und mich angegrinst.
Leider ist es dieses Jahr so wie alle Jahre, kaum hat meine Muse die Türe hinter sich zugemacht, plustert sich mein innerer Kritiker auf. Der kleine Giftzwerg hat mir diese Woche jeden Text, den ich begonnen habe, so schlechtgeredet, dass ich nach ein paar Sätzen die Lust verloren habe.

Draußen ist es noch dunkel. Ich habe mich eben aus dem Bett geschlichen und mir ganz leise einen Kaffee gemacht. Das Notebook fährt hoch. Ich möchte endlich mal wieder einen Text zu Ende bringen. Doch ich habe die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Gerade als ich loslegen will, kommt mein Kritiker zur Türe herein. Seine Haare stehen wild nach allen Seiten und sein Shirt hat er verkehrt herum an.
Vorerst stumm setzt er sich neben mich und schaut mit mir zusammen auf das leere Dokument mit dem blinkenden Cursor. 

„Was hast du vor?“, fragt er nach einer Weile.
„Ich schreibe ein Gedicht.“
„Du hast doch keine Ahnung von Versfuß, Versmaß und Strophenform und vermutlich weißt du nicht einmal, wie man Jambus schreibt. Das kann doch gar nichts werden.“
„Gedichte müssen sich heutzutage nicht mehr reimen.“

„Das stimmt, aber dann müssen sie zumindest tiefgründig sein und wenn ich mir deine letzten Texte so ins Gedächtnis rufe …“ Er macht eine vielsagende Pause und schüttelt dabei den Kopf.
„Dann schreib ich eben etwas Lustiges!“ Heute soll er mich nicht abhalten. Ich will schreiben und es soll ein Gedicht werden.

Der Giftzwerg lacht sich kaputt. „Du, die du jedes zweite Komma falsch setzt und auch ansonsten Probleme mit der Rechtschreibung hast, du willst in die Königsdisziplin? Lustig ist noch schwerer als erotisch … und was passiert ist, als du einen erotischen Text schreiben wolltest, das weißt du doch noch, oder?“ Er schüttelt abermals vielsagend den Kopf.

Oh Mann, der Kerl weiß schon ganz genau, welche Knöpfe er bei mir drücken muss. Ich nehme meine Hand von der Tastatur und trinke einen Schluck Kaffee. Sollte ich vielleicht lieber Fenster putzen gehen? Ist ja wirklich eine Schnapsidee. Ein Gedicht. Wie bin ich da bloß drauf gekommen? Mein Selbstwertgefühl schmilzt wie Butter in der Sonne.

Sein Lachen wird hysterisch, er klopft sich mit den Händen auf die Schenkel, Tränen laufen ihm die Wangen hinunter. Und dann verschluckt er sich und beginnt laut zu husten.
„Das hat er nun davon“, denke ich schadenfroh und lege meine Hände wieder auf die Tastatur. Doch ich komme nicht zum Schreiben. Innerhalb weniger Sekunden läuft er lila an, und ringt keuchend um Luft. Ich stehe auf und klopfe ihm kräftig zwischen die Schulterblätter. Was nicht sonderlich hilfreich ist. Er wird ohnmächtig. Immerhin bin ich da und kann ihn halten, sodass er nicht vom Stuhl fällt.

Das Husten hört abrupt auf und einen Moment denke ich, er ist hinüber. Ich werde hektisch. Auch wenn er beim Schreiben eines Entwurfes oft nervt, beim Überarbeiten ist er Gold wert. Und zudem ist er ein Teil von mir. Er darf nicht sterben. Ich schüttle ihn ein wenig und überlege gerade, ob ich ihn beatmen soll, da hebt sich sein Brustkorb ruckartig. Nach einigen Atemzügen normalisiert sich auch seine Gesichtsfarbe wieder. Ich lege ihn aufs Sofa, streiche ihm das wirre Haar aus dem Gesicht und setze mich wieder an das Laptop. Wie von selbst gleiten meine Finger über die Tastatur.

Minuten später ist mein Gedicht fertig. Gerade rechtzeitig. Ich höre ein leises Rascheln und schon sitzt er wieder neben mir. Seine Augen fliegen über die wenigen Zeilen. Ein Grinsen stiehlt sich in sein Gesicht. „Nett“, sagt er und verlässt den Raum.

Mit offenem Mund schaue ich ihm hinterher. Was ist denn mit dem passiert? Ich hoffe, der Sauerstoffmangel hat keine bleibenden Folgen und er ist bei der nächsten Überarbeitung wieder er selbst.

5 Replies to “Wenn die Muse Sommerurlaub macht”

  1. Liebe Eliane,

    danke für diesen schönen Text. Wer kennt ihn nicht, diesen Fiesling, der mit den Texten nie zufrieden ist?! Habe richtig schön geschmunzelt und mich gefreut, dass du ihm mal schriftstellerisches „Paroli“ geboten hast.

  2. Ich hab das Gefühl, meine Muse macht öfter mal einen Kurztripp. Nur ist mein innerer Kritiker nicht ganz so fies. Ist ja auch ein Kind, das eher fragt “ Meinst du das ist gut?“ Oder „Denkst du wirklich, das könnte jemand lesen wollen?“

  3. Der Kritiker, herrlich!
    Oh ja, er ist sehr erfinderisch und weiß welche Knöpfe er
    drücken muss! Ich habe mich gefragt, wo meine Muse in letzter
    Zeit geblieben ist. Vermutlich auch in den sonnigen Süden
    entschwunden.

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